„The City of Broken Windows“, bis 15. Oktober Museum der bildenden Künste, alle Infos: www.mdbk.de
Hito Steyerl, Jahrgang 1966, ist eine international gefeierte Künstlerin. Jetzt zeigt das Museum der bildenden Künste Leipzig ihre Installation „The City of Broken Windows (Die Stadt der zerbrochenen Fenster)“. Mathias Schulze hat sie sich angesehen
Ein lautes Klirren und ein helles Scheppern. Sofort geht der Körper in Alarmbereitschaft. Zerstörung, Randale, Disharmonie. Nimmt man im Museum der bildenden Künste Leipzig den Aufzug, um in den zweiten Stock zu kommen, um die Installation „The City of Broken Windows“ der Starkünstlerin Hito Steyerl zu besuchen, geht der erste auditive Eindruck, der nach dem Öffnen der Fahrstuhltür empfangen wird, direkt in den Bauch: Berstendes Glas. Hier stimmt was nicht! Muss man einen Notruf wählen? Wer kann uns beschützen? Dabei hat man die gläserne Terrasse des Museums noch gar nicht erreicht. Nur Mut, immerhin stellt hier eine international renommierte Künstlerin aus, immerhin kommt man auf dem Weg an alten Meistern vorbei. Da sieht man beispielsweise das Ölgemälde „Adam und Eva“ von Lucas Cranach den Älteren aus dem Jahre 1533. Die Farben sind ruhig, die Blicke friedlich, eine kontemplative Kunstbetrachtung ist möglich. Aber das Böse wird trotzdem in die Welt kommen, gleich hat man die Terrasse erreicht. Und schon splittert und kracht es wieder, eine beschauliche Kunstrezeption wird zerschnitten. Berstendes Glas. Die Welt ist aus den Fugen. Auch die klassische Kunst wird mit den Scherben der Gegenwart konfrontiert. Die Videokünstlerin Hito Steyerl, die 1966 in München geboren wurde, darf sich über diesen Effekt, der ihre Installation zufällig rahmt, freuen. Das Spiel mit unserer Angst gelingt – es setzt sich im eigentlichen Ausstellungsraum fort. War man eben noch von den warmen, beruhigenden Farben der alten Meister umgeben, steht man nun in der klinischen Atmosphäre eines riesigen Glashauses. Draußen die geputzte Innenstadt mit all den heißen Sommerfarben, drinnen die kalte und schneidende Analyse. Was würde passieren, wenn hier wirklich die Scheiben zu Bruch gingen? Ist ein Museumsbesuch schon eine Abschottung gegenüber den Problemen der Gegenwart? Zwei Videos stehen sich gegenüber, das eine heißt „Broken Windows (Zerbrochene Fenster)“. Es zoomt in eine große, laborartige Industriehalle: Wie Künstler vor der Staffelei stehen Mitarbeiter einer britischen S i c h e r h e i t s fi r m a v o r festgezurrtem Fensterglas. Gleich wird der Hammer geschwungen, gleich wird wieder dieses Scheppern den Raum füllen. Ziel ist es, den klirrenden Krach einzufangen. So wird eine Künstliche Intelligenz (KI) trainiert, so sollen Einbrüche zügiger der Polizei gemeldet werden können. Wer es sich leisten kann, kauft sich eine immer raffiniertere Illusion einer intakten, modernen und zivilisierten Welt. Kommen die sozialen Ungleichheiten und die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels immer näher, wird Sicherheit immer teurer. Dient der technische Fortschritt nur den Wohlhabenden? Also jenen, die sich in der Wirklichkeit eh schon privilegierte Rückzugsorte und Raketen bauen, um irdischen Katastrophen zu entgehen. Das andere Video heißt „Unbroken Windows (Unzerbrochene Fenster“). Es zeigt das Bemühen US-amerikanischer Aktivisten, zerbrochene Fensterscheiben in Großstädten durch kunstvoll gestaltete Spanholzplatten zu ersetzen. So knüpfen sich nachbarschaftliche Beziehungen, so wird eine Verwahrlosung kollektiv und kreativ aufgehalten. Gesellschaftlicher Fortschritt durch künstlerische Handarbeit.
Zeit, um nachzudenken. Setzt man sich auf eine der beiden Sitzreihen, fliegen die Sätze eines Schriftbandes, das sich über die Glasscheiben und über die Muschelkalk-Verkleidung durch den ganzen Raum zieht, in die rätselnde Aufmerksamkeit. Es ist ein Text mit Fußnoten, ein Text, der sich aus Sätzen des französischen Ökonomen Frédéric Bastiat (1801–1850), aus Worten der Künstlerin und aus Nonsensformulierungen, die von einer KI geniert sind, zusammensetzt. Ein Text, der die beklemmende Atmosphäre auch auf die Netzhaut schreibt. Zu lesen ist beispielsweise dies hier: „Das Geräusch von zerbrechendem Glas wird zu seinem eigenen Schatten und hallt als Musik durch die Stadt.“
Da all die Bedeutungsebenen – vom zerbrochenen Glas als Metapher für gesellschaftliche Brüche über Bastiats ökonomischer „Parabel vom zerbrochenen Fenster“ bis hin zur „Broken-Windows-Theorie“ des Politikwissenschaftlers James Q. Wilson – nur mithilfe von ausliegenden Erklärtexten verstanden werden können, führt die Installation zu einer ganz grundsätzlichen Frage: Ist es ein Makel, wenn ein sinnliches Kunstwerk seine volle Potenz erst durch aufwendige Kopfarbeit erlangt? Was bleibt ist das Geräusch, das laute und helle Klirren und Scheppern. Was bleibt ist die Alarmbereitschaft des Körpers. Was bleibt, ist die Angst. Nur die Polizei oder eine höhere Instanz anzurufen, wird nicht reichen.
Text: Mathias Schulze