My Fair Lady, ab 9. März, Musikalische Komödie Leipzig; mondëna quartet & friends – fünf Jahre mondëna feat. Sven Helbig, Martin Reik und Felix Rösch am 8. April um 20 Uhr im Krystallpalast Varieté Leipzig
In Halle und Leipzig kennt ihn jeder, der die Bretter, die die Welt bedeuten, liebt: Martin Reik hat am Schauspiel Leipzig gespielt und war bis Sommer 2023 in Halle. Doch was macht er jetzt? Ein Porträt von Mathias Schulze
„Machen wir eine Homestory!“ Der Empfang in der Privatwohnung, die Martin Reik zusammen mit Wolfgang Engel im Leipziger Waldstraßenviertel bewohnt, ist unkonventionell und herzlich. Reik empfängt im Schlabberlook, ein Leben in bester Lage. Reik kümmert sich angenehm wenig, um einen strukturierten Gesprächsverlauf: „Ich habe grad bei Soko Leipzig mitgespielt. Im März spiele ich in der Muko. Du darfst hier in der Wohnung rauchen! Ich hab’ ein Michael-Jackson-Wochenende hinter mir!“ Halt, stopp und Obacht! Reik ist Schauspieler, Sprecher und Sänger. Er ist das, was man früher voller Achtung als Rampensau bezeichnete. Bis Sommer 2023 war er am neuen theater in Halle beschäftigt. Gerade hat er den Umzug hinter sich. Schon steht der Espresso auf dem Tisch: „Mensch, ich bin jetzt 54 Jahre! Zum ersten Mal freiberuflich. Ich habe in Halle so geiles Zeug gespielt. Warum warst du denn so selten da?“ Halt, stopp und Obacht! Der Autor dieser Zeilen schrieb über Henriette Hörnigks legendäre „Wut“-Inszenierung in der Oper Halle dies: „Martin Reik erinnert an die griechischen Götter. Prometheus. Die Leber wächst immer wieder nach, ebenso wie der Schwanz immer wieder hart wird. Ewige Lust, ewig zu wenig, ewige Zerstörung, ewiges Menschheitsprinzip.“ Über Reiks und Engels fulminanten Heine-Abend unter der Regie von Florian Krannich in der Volksbühne Halle war in diesem charmanten Stadtmagazin das notiert: „Reik reißt das Publikum in die Zerrissenheit desjenigen, der sein Vaterland eigentlich lieben möchte – nur die Verhältnisse sind nicht so.“ „Eigentlich wollte ich in Halle den Rest meines Lebens verbringen. Es sollte nicht sein.“ Egal, alles unvergesslicher Schnee von gestern! Jetzt braucht es Struktur: „Martin, wo bist du aufgewachsen? Wie kamst du zur Kunst?“ Reik zündet sich was an, ein Rückblick bringt Ruhe: „Zwischen Stuttgart und Ulm, in Süßen bin ich geboren.“ Bauernhof und Provinz. Reik erklärt Emanzipationsprozesse: „Ich war von Anfang an schwul, war ein expressiver Typ. Ich bin eine Großfresse!“ Und da gab es die Märchenplatten: Otfried Preußler, die kleine Hexe. Der kleine Martin verblüffte das Elternhaus, schnell lernte er auswendig, ausdrucksstark trug er das Zeug mit verstellter Stimme vor. Reik salopp: „Schon damals musste der Affe gefüttert werden, ich mit meiner narzisstischen Störung brauche Aufmerksamkeit.“ Den Vater überzeugte er – wenn der Bub so was kann, soll er Schauspieler werden. Nach dem Zivildienst, den Reik mit „Alzheimer und Scheiße“ zusammenfasst, flogen die Bewerbungen zu den Schauspielschulen. Bands, Theater-AGs und diverse künstlerische Ausflüge in der Jugendzeit ermöglichten Erfolge: Als Student in Graz spielte Reik zusammen mit Milan Peschel im „Sommernachtstraum“, von 1992 bis 1996 war er an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Erzählt Reik von der Zeit, schweben diverse berühmte Namen durch die Luft. Ja, der Dozent kannte Brecht noch persönlich. Ja, da rannten viele berühmte Leute rum. Und Martin war mittendrin – Wahnsinn! Reik bläst den Rauch aus den Nüstern und erzählt von der Techno-Revolution Anfang der 90er Jahre: „Berlin mit all seinen Clubs war der totale Overkill. Ich war natürlich schon geoutet, aber dann ging es richtig los. Nach einem Jahr war ich fast gaga.“ Und was hat er auf der „Busch“ gelernt? In Graz, so Reik, sei ihm nur Zucker in den Arsch geblasen wurden, in Berlin hat das Rumschreien nicht gereicht, dort saß Reik schon einmal weinend unter der Dusche. Vorwurf: Er sei zu unkonkret! Also galt es, Schauspieltechnik und Sprechen zu verbessern. Ein Engagement in Schwerin folgte. Und der Osten? Druckreife Sätze purzeln auf den Küchentisch: „Ich bin vollkommen ,ver-ostet‘! Hier lebt es sich einfach freier! Die Ignoranz des Westens gegenüber dem Osten regt mich auf!“ Ein lustiges Beispiel: Reik erzählt von zwei Schwaben, die im breiten Schwäbisch durch Leipzig laufen und sich über den sächsischen Dialekt echauffieren. 1998 begegnete ihm bei den Festspielen in Bad Hersfeld die Liebe seines Lebens: Wolfgang Engel! Eben dieser war damals Intendant am Schauspiel Leipzig. 2000 ging’s für Reik nach Leipzig, 2009 heiratete er seinen Wolfgang. Als die Intendanz von Engel 2008 endete, ging Reik für ein Jahr nach Dresden ans Staatsschauspiel, Magdeburg sollte folgen. Und im Sommer 2011 begann die HalleZeit, Reik kommt ins Schwärmen: Begriffe und Namen wie Henriette Hörnigk, Claudia Bauer, Matthias Brenner, Strapse, High-Heels, Othello, Mackie Messer, das „Wut“-Projekt in der Oper fliegen durch die verrauchte Küche. 2014 schlug das Schicksal zu: Der Tod der Eltern, ein schwerer Bühnenunfall, eine lange Rekonvaleszenz-Phase und Schwierigkeiten in Halle folgten, 2023 lief der Vertrag in Halle aus. Reik, der Gentleman: „Eigentlich wollte ich in Halle den Rest meines Lebens verbringen. Es sollte nicht sein.“ Jetzt steht „My Fair Lady“ – Reik spielt den Oberst Pickering – und ein Konzert mit dem Leipziger „mondëna quartet“ bevor. Der Tausendsassa holt „Martin Reik & Friends – What is this thing called love? The Cole Porter Album“ aus dem Wohnzimmer eine CD, die von Frank Venske, seinem langjährigem musikalischen Weggefährten, produziert wurde. Auch das Album „Songs vom anderen Ufer – Jens Uwe Günther & Martin Reik“ landet auf dem Tisch. Ein bisschen was geht. Ist doch klar. Reik verabschiedet sich nach gut zwei Stunden: „Ach, Mensch, das war aber schön. Überraschend!“ Dito!
Text: Mathias Schulze