Julia Jünger, 4. Februar um 17 Uhr in der Kirche Zuckelhausen, Record-Release am 10. Februar um 20 Uhr im „Noch besser Leben“, 13. März um 20 Uhr in „Alte Schlosserei“, 14. März um 19 Uhr im Bürgerverein Sellerhausen-Stünz, alle Termine unter www.facebook.com/liedertour und instagram.com/julia.juenger.musik
Mitte Januar in Leipzig: Eine eisige Kälte hat die Stadt im Griff, im urigen Café „Zum wilden Heinz“ in der Hähnelstraße 22 brennt ein Holzofen, der Glühwein mit Rum soll Seele und Glieder wärmen. Und dann kommt Julia Jünger, Jahrgang 1983, und stellt die Uhren gnadenlos auf Aufbruch. Ein Auftritt wie ein Orkan. Jünger ist auf dem Sprung – hinein in ein neues Leben. Beseelt und energisch geht es von Hölzchen auf Stöckchen, die Kälte spielt bald keine Rolle mehr. Jüngers atemloses Erzählen reißt mit – jetzt will sie es wissen, jetzt stehen die große Dinge an. Im Song „All in“ heißt es mit berührender Selbstermächtigungspower: „Ich will nicht vorsichtig sein / So wie es ist / Lass ich es rein / Dann ist es mein.“ Es wäre ein Wunder, wenn die leise, aber gewaltige Kraft dieses beschwörendes Liedes nicht die ein oder andere Gänsehaut beim Publikum stimulieren wird. Jünger ist kaum zu stoppen, wer die Eckdaten nicht notieren kann, ist ein bräsiger Spießer: Die Eltern legten die Liebe zur Musik schon früh in die Wiege, der Bruder Sebastian Thon spielt in den Projekten „Atréju 69“ und „Casino Fatale“. Aktuell arbeitet die gebürtige Leipzigerin als Grundschullehrerin in der Messestadt, drei Kinder sind ihr ganzer Stolz. Und Erfolge und AdrenalinKicks mit früheren Bands stellten eine unausrottbare Sehnsucht und Überzeugung ins Herz: „Damals war mir klar, dass ich ein Rockstar werde! Dann rieten mir Ärzte vom Singen ab“, sagt Jünger. Also ging es rein ins Lehramtsstudium, rein in die Grundschule. Gedichtvertonungen, Vernissagen, Familienplanungen und die Aufforderung der Moritzbastei, dass beim monatlichen „Song Slam Leipzig“ nur eigene Texte vorgelegt werden dürfen, folgten – die Reihenfolge ist egal. Jünger springt in ihren Erzählungen mal zurück, mal nach vorn. Die Gegenwart ist immer ein Dazwischen-Bereich - für Jünger gilt das gerade besonders intensiv. Wo sie gerade losspringt, weiß sie. Wo sie ankommen wird, noch nicht. Im Gespräch ist Jünger mal die professionelle Musikerin, mal die fürsorgliche Mutter, mal die emphatisch Plaudernde, die einfach nur aufgeregt und neugierig ist und die sich dem Gegenüber so zeigt, als kenne man sich schon dreißig Jahre. Ja, mit dem ersten eigenen Album „Kein Mittelmeer“, das am 10. Februar beim Leipziger Label „Dran-Musik“ erscheinen wird, beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Ja, der Umstand, dass „Liedertour“-Mastermind Frank Oberhof sie ins Vereinsboot geholt hat, ist ein kleiner Ritterschlag. Jetzt beginnt das Rockstar-Leben. Nur führt es erst einmal nicht in die Mehrzweckhallen der Welt, sondern in wohlsortierte, urige und wunderschöne Ecken der Region. Wer in der „Liedertour“-Familie aufgenommen ist, darf vor einem kleineren, aber anspruchsvollen und verwöhnten Stammpublikum spielen. Hier muss man erst einmal bestehen. Und Jünger hat gute Chancen. Songs wie „Schöner Sommer“ oder „Aber morgen“ lassen sich wie eingängige Ohrwürmer mit Pop und Schlagerelementen hören, sie offenbaren aber bei genauerer Betrachtung sensible Zwischenmenschlichkeiten, Abgründe und seelische Ambivalenzen. Hier trifft Lust auf Melancholie, Lebenserfahrung auf Naivität, Euphorie auf Ernüchterung, Neugierde und Offenheit auf Angst und Verletztlichkeit. Mit Inbrunst legt sich Jünger in die Freiheitsund Sehnsuchtssongs: Mal zieht sie die Silben, mal verhallt die zartschmeichelnde Stimme in den Weiten einer klaren Sternennacht. Und der Leipziger Musiker, Autor und Songwriter Timm Völker hat als Produzent ganze Arbeit geleistet: Die Lieder spielen mit den Reizen des leicht Konsumierbaren, bekommen aber durch ein raffiniertes Vibrieren und Wispern, durch einen tigernden und psychedelischen Einschlag eine Tiefe, die sich ins Gemüt krallen kann. Ein elektronisches Tropfen und Blubbern, ein Sound wie eine süße Sommer-Erdbeere, die um ihre Vergänglichkeit, um den Herbst und den Winter weiß. Hier stellt sich jemand den eigenen Gespenstern, Jünger reißt hinter Versen, die auch oberflächlich zu hören sind, die großen existenziellen Dinge auf. Wir alle wollen aufbrechen, Rockstars sein, uns im Rausch vergessen, in uns allen brennt eine unstillbare Sehnsucht. Und doch wollen wir auch alle Halt und Geborgenheit, und doch tragen wir auch alle die Vergangenheit, den Ballast und die Grenzen mit uns. Halt mich fest, aber lass mich los! Wir alle sind den Menschen eine Hilfe, eine solidarische Unterstützung. Und doch können wir auch verletzten, uns wir Raubtiere zerfetzen. Selbstbestimmung und Schuldgefühle. Wir alle entwerfen Sehnsuchtsorte, suchen Venedig – derweil wir im Alltag und bei Netto an der Kasse stehen. Jünger legt mit „Kein Mittelmeer“ ein persönliches Album vor, das irgendwo zwischen Pop, Singer-Songwriter und IndependentElectro mit leidenschaftlicher Wahrhaftigkeit Gewissensfragen stellt: Na, erzähle mal, sei ehrlich, wie bringst du deine seelischen Ambivalenzen ins Gleichgewicht?!
Text: Mathias Schulze