Compania Sincara spielt Hamlet, 9. Dezember bis 21. Januar, Schauspiel Leipzig, alle Termine: www.compania-sincara.com
Ab 9. Dezember spielt das Leipziger Theaterkollektiv „Compania Sincara“ im Schauspiel Leipzig frei nach William Shakespeare den Klassiker „Hamlet“. Wer ist die „Compania Sincara“? Wir haben beim Schauspieler, Regisseur und Mitbegründer Rico Dietzmeyer, dem „Capocomico“ der Schauspielgruppe, nachgefragt. Ein Gespräch über Russland, Shakespeare, das Maskenspiel und über Louis de Funès
Hallo, Rico Dietzmeyer, erzählen Sie doch mal bitte: Wer und was ist die 2016 gegründete „Compania Sincara“?
Wir, „Compania Sincara“, sind ein Leipziger Theaterkollektiv – berühmt berüchtigter letzter Preisträger des Leipziger Bewegungskunstpreises – mit einer klaren Besonderheit: Wir machen Theater mit Masken. Dabei kann man unsere Maskentheaterkunst am ehesten als eine Spielweise zwischen Tradition und Innovation beschreiben. Ein fröhliches, publikumsoffenes Spiel, dessen Mittelpunkt und Akteure die Maskenfiguren sind. Das sind wunderbar schräge Vögel, Verwandte von Leporello, Hanswurst und Scaramouche, die auf ihre ganz eigene Art den Theatersaal aufwirbeln. Mittlerweile schart „Compania Sincara“ mehr als ein Dutzend Künstlerinnen aus ganz Deutschland um sich.
Leipzig ist …
… unsere Theaterheimat, wir sind aber auch über die Grenzen der Stadt hinaus aktiv. Angefangen hat das alles ganz klein. Mitte der 2010er Jahre haben wir uns, könnte man sagen, aus dem Ei des Leipziger Instituts für Theaterwissenschaft gepellt, an dem einige von uns studierten. Das war zumindest eines der Eier. Dabei waren vor allem die praxisnahen Forschungen Gerda Baumbachs die Keimzelle unserer Theaterversuche. Als noch loser Dotter kamen wir dann an die Leipziger „Cammerspiele“, wo wir mit „Die (Selbst)Natürlichen“ (2015) und „Don Q“ (2016) gleich relativ erfolgreich waren und einige Preise gewannen. Mit „Don Q“ gingen wir auf diverse Gastspiele ins europäische Ausland.
Die Idee, sich fest als Compagnie zusammenzutun, kam nicht mit einem Schlag?
Nein, sie verdichtete sich eher schichtweise über einen längeren Zeitraum. Während der Proben zu „Don Q“ entstand beispielsweise der Name „Compania Sincara“. „Sin cara“ meint im Spanischen „ohne Gesicht“ – wobei wir mit unserer Spielweise immer klar Gesicht zeigen, nur eben verwandelt. Ein weiterer Moment, in dem die „Notwendigkeit“ oder besser die Entscheidung, als Compagnie weiterzumachen, greifbar wurde, war während eines Gastspiels im russischen Tjumen in Westsibirien, als wir uns im tiefsten Winter bei 25 Grad bis zu den Knien im Schnee wiederfanden. Wir dachten, wenn unsere Theaterversuche uns gar bis hinter den Ural tragen, sollten wir sie vielleicht weiter spinnen. Und das machen wir jetzt: gemeinsam rumspinnen. Nichts tun wir lieber.
Ihre Hamlet-Inszenierung am Schauspiel Leipzig läuft im Pilotförderprogramm „Dreiklang für Leipzig“. Was ist das? Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Leipzig?
Die Förderung „Im Dreiklang für Leipzig“ des Kulturamtes ist eine tolle Sache. Sie ermöglicht es freien Kollektiven, unter ihrer eigenen künstlerischen Federführung in eine zweijährige Kooperation zu treten – und zwar mit einer freien, institutionell geförderten und mit einer städtischen Kunst- und Kultureinrichtung. Wir sind glücklich, dass wir die erste Empfängerin dieser Förderung geworden sind. Nun können wir in der Saison 2022/23 zwei Produktionen gemeinsam mit „Schauspiel Leipzig“ und der „Schaubühne Lindenfels“ auf die Bretter bringen.
Und was machen Sie? Shakespeare!
Ja. „Compania Sincara“ spielt Shakespeare – aber anders! Mit der Schaubühne Lindenfels verbindet uns bereits eine mehrjährige Zusammenarbeit. Dort haben wir zuletzt die beiden Gozzi-Stücke „Turandot“ (2019) und „Die Liebe zu den drei Orangen“ (2021) produziert. Mit „Turandot“ waren wir im Sommer 2019 im Rahmen des 16. Symposiums der „International Brecht Society“ zu Gast am Schauspiel Leipzig. So entstanden ein Gesprächsfaden und die Lust zusammenzuarbeiten. Durch die Pandemie mussten vorhergehende gemeinsame Vorhaben aufgeschoben werden, bis wir endlich das Glück hatten, im „Dreiklang für Leipzig“ wieder zusammenzukommen.
Welche Shakespeare-Stücke sind noch in Planung? Was haben Sie in der intensiven Auseinandersetzung mit Shakespeare über Literatur und Theater bislang lernen können?
Nach dem Stück „Compania Sincara spielt Hamlet“ werden wir im Juni 2023 „Compania Sincara spielt Wie es euch gefällt oder Was ihr wollt“ an der Schaubühne Lindenfels produzieren. Die Titel sind bewusst gewählt, da es bei unseren Produktionen nicht um schnöde Klassiker-Interpretationen geht, sondern sprichwörtlich um ein Spiel mit den Shakespeare-Stücken.
„Wie es euch gefällt oder Was ihr wollt“ wird …
… ein Medley, eine Rhapsodie in Bunt, in der bis zuletzt nicht ganz klar sein wird, was die Masken aus Shakespeare nicht noch alles rausholen können. So viel ist sicher: Die Hexen von Macbeth werden ihren Platz schon finden, und zwei Herren aus Verona begegnen sich oder nicht. Wer weiß das schon genau. Zwischen verlorener Liebesmüh und anderen Irrungen gibt es genug Platz, über alles Mögliche und Unmögliche zu phantasieren. Um mit ein paar Zitaten zu werfen: „Jedes Ding hat seine Zeit.“ Oder wie schon Mutter Hamlet sagte: „Mehr Inhalt, weniger Kunst!“
Shakespeare als Literatur …
... interessiert uns wenig. Wir sehen seine Stoffe als zeitloses Material, um auf unsere Gegenwart blicken zu können. Mit dem Geist in „Hamlet“ kommt der Umbruch, die Zeitenwende und ein Krieg droht auch. Obendrein gärt es mächtig in Dänemark: „Etwas ist faul ...“ – ja, aber gewaltig! Über Theater lernt man auch eine Menge: Hamlet ist sich nicht zu schade, den Schauspielern Anweisungen zu geben, wie sie zu spielen haben. Der Amateur erklärt den Profis ihr Handwerk – daran kann man auch eine Krise des Gegenwartstheaters messen. Und natürlich geht es immer auch um Leben und Tod, da lernt man sowieso nie aus. Eines steht fest: Der eine oder andere Irrweg wird zu meistern sein, und diverse Kreuzungen werden sich auftun. Und von denen gibt es bei Shakespeare schließlich viele. Noch ein Shakespeare-Zitat: „Begegnen wir der Zeit, wie sie uns sucht.“ Das kann man lernen.
Lassen Sie uns über das Maskenspiel sprechen. Was ist das für eine spezielle Form der Theaterkunst? Was wird dadurch ermöglicht?
Da muss man etwas genauer sein. Maskenspiel ist keine spezielle Form von Theaterkunst. Das ist ein jahrhundertealter, immer wieder reproduzierter Irrtum. Theaterkunst als solche ist Maskenspiel, Masken sind sozusagen die Grundlage von Theaterspielen schlechthin. Alles andere, was dann historisch gesehen später kam, sind spezielle Formen, beispielsweise die authentische, „glaubwürdige“ Darstellung, wie wir sie aus Filmen kennen, wo man in der Rolle „aufgeht“. Mit dem Schweizer Theatermacher Benno Besson gesprochen: „Die Schauspielkunst mit Masken hat eine andere Funktion und zeigt vom Menschen Aspekte, die in der langen bürgerlichen Entwicklung des Theaters ohne Masken weggefallen sind, beiseitegelassen wurden. Ich meine, zu erforschen, was vom Menschen ausgesagt werden kann beim Spiel mit Masken, scheint mir wesentlich für uns heute.“
Maskentheater, wie Sie es versuchen …
… treibt ein offenes Spiel. Wir suchen einen lebendigen Kontakt zwischen Bühne und Publikum. Wir wollen die Zuschauerinnen verführen zu einer heiteren gemeinsamen Auseinandersetzung mit den Dingen, die uns aktuell bewegen – und das mit Sinnlichkeit, Naivität, Intelligenz, Spaß und Genuss. Getragen wird diese Spielweise von den Maskenfiguren. In den vergangenen Jahren haben wir uns mit den Stücken Carlo Gozzis der Neukreation traditioneller Theaterfiguren gewidmet: Entstanden sind moderne Varianten historischer Figuren wie Truffaldino, Brighella, Dottore und Pantalone. Für Shakespeare erfinden wir drei neue Hänse oder besser Johnnys. Die Namen können wir schon einmal verraten: Eusebius, Waldemar und Kerbel. Sie tauchen urplötzlich auf, sind zugleich aber alte Bekannte, alte Freunde des Publikums. Sie haben, könnte man sagen, die warme Welt des Märchens verlassen, sind hinter die Apokalypse gereist und zurückgekehrt. Sie sind Randerscheinungen, Außenseiter unserer Realität. Und jetzt erzählen sie uns ihre Variante der Tragödie vom Prinzen von Dänemark und was sie auf ihren Jenseitsreisen über die Menschen gelernt haben. Übrigens sind sie trickreiche Figuren, die sich frech über – fast – alles hinwegsetzen, um sich ein gutes Verhältnis zum Publikum zu verschaffen. Solche Figuren kannte auch das elisabethanische Theater. Clowns wie Richard Tarlton oder Shakespeares Zeitgenosse und Kollege William Kemp sind ihre bekanntesten Vertreter.
Im „Hamlet“ …
… spielen bekanntlich Clowns – Clowns sind Maskenfiguren – die Rollen der Totengräber, die für Ophelia ein Loch im Dreck ausheben. Diesen Job übernehmen nun unsere Masken. Und sie machen ihn gut. Versprochen!
Sie spielten bereits Tourneen und Gastspiele, die Sie nach Tschechien, Russland, Estland, Österreich oder Ungarn führten. Wie hat dieses Reisen die gesellschaftspolitischen Sinne geschärft?
Es ist immer inspirierend auf Reisen zu sein. Allein schon die Sprachdifferenzen sorgen dafür, dass man anders kommunizieren, ja in jeder Hinsicht offen und kommunikativ sein muss. Gleichzeitig rückt die Sprache, wenn man sich verbal ohnehin nicht versteht, in den Hintergrund und man beginnt wieder physischer, gestikulativer und ja theatralischer miteinander zu kommunizieren. So wird aus verbaler Verständigung, die oft nur Mittel zum Zweck ist, fast wieder ein leibliches Spiel. Das ist schön. Das erleben wir auch in unseren Vorstellungen. Das leibliche Erzählen der Masken ist nicht an sprachliche Logik geknüpft. Sie werden überall verstanden. Was wir versuchen, ist ein Theater für alle. Und natürlich schärft sich auch die Wahrnehmung, wenn man als Fremder in der Fremde unterwegs ist. Dabei fühlen wir uns da selten wirklich fremd, weil wir immer herzlich aufgenommen werden. Perspektivwechsel sind wichtig. Man schaut mit anderen Augen auf die Menschen, bei denen man zu Gast ist, und bekommt Einblicke darin, wie die Menschen dort auf uns schauen.
Im Spätsommer 2021 haben Sie …
… eine zweite „Liebe zu den drei Orangen“ inszeniert. Und zwar gemeinsam mit dem befreundeten russischen Theaterkollektiv „Theater Mimikry“ als Schwester-Produktion in Tjumen. Wir haben dort, seit wir 2017 erstmals in der sibirischen Stadt gastierten, viele Freunde gefunden. Die gesellschaftliche Anspannung und der politische Druck, der in Russland auf die Menschen ausgeübt wird, und die mit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine weiter zugenommen haben, waren dort bereits ein halbes Jahr zuvor spürbar. Trotzdem wäre kein gesellschaftspolitischer Sinn scharf genug gewesen, zu ahnen, was ab dem 24. Februar folgen sollte. Kritisches Bewusstsein in weiten Teilen der jungen Generation haben wir dort aber erlebt. Es gibt Hoffnung.
Sie bieten auch Workshops an. Was kann man dort lernen?
In unseren Workshops geben wir Einblicke ins Maskenspiel. Wie geht das? Wie spielt man mit dem Mittel „Maske“? Was für eine Rolle spielt Präzision? Und warum sollte man als Theatermacherin eine Lust daran entwickeln? Die Workshops richten sich an allgemein Interessierte oder professionelle Akteurinnen. Maskenspiel wird heute kaum noch professionell ausgebildet. Wir können das zwar nicht leisten, aber wenn wir zumindest ein wenig weitergeben können, warum „Maske“ ein so potentes Erzählmittel ist, haben wir etwas gewonnen.
Lassen Sie uns auf Leipzig schauen. Was sehen Sie, wenn Sie durch die Stadt laufen? Sind Sie zufrieden mit den Produktionsbedingungen, die Sie hier vorfinden?
Ah, eine politische Frage. Präzise Antwort: Tritralala. In Leipzig sieht man ach so viel. Wie sollte man es zählen? Die Mensch’ sind gut, die Leut’ sind schlecht. Ich weiß nicht recht. Schöne Häuser gibt es und auch Straßen. Und ja, Produktionsbedingungen findet man vor. Ob wir zufrieden sind? Sagen wir’s mit Louis de Funès: „Nein. Doch. Oh.“
Text: Mathias Schulze