Shiny Happy People, 10. und 11. Dezember um 20 Uhr, am 12. Dezember um 18 Uhr, Cammerspiele, www.cammerspiele.de
Johann Christoph Awe (JCA) und sein Bruder Swen Lasse Awe (SLA) haben ein dokumentarisches Theaterprojekt namens „Shiny Happy People“ über die großartige Schriftstellerin Patricia Highsmith entwickelt, das in den Cammerspielen zu sehen ist. Grund genug, bei den Theatermachern nachzufragen
Welche inhaltlichen Gründe führten Sie zu Patricia Highsmith? Wo liegt die Faszination?
JCA: Eine vielleicht spontane Tat kann das ganze Leben existenziell verändern. Dieses immer wiederkehrende Momentum der Highsmith-Romane hat uns sehr interessiert und fasziniert. Was trieb die „gewöhnlichen Psychopathen” (Zitat Patricia Highsmith) zu ihren Verbrechen? Was ist von den Motiven der 50er, 60er Jahre wie Isolation, Egoismus und alternative Fakten heute noch aktuell? Unsere Grundannahme war, dass wir alle gar nicht so weit entfernt sind, auch in eine solche Lage zu geraten, in der eine Entscheidung alles auf den Kopf stellt und wir nicht mehr ins alte Leben zurückkehren können. Was ist es also, dass das Fass zum Überlaufen bringt? Wo unterscheiden wir uns noch von den Highsmith-Figuren?
Wie würden Sie die Ästhetik von „Shiny Happy People“ charakterisieren? Was erwartet das Publikum?
SLA: „Shiny Happy People“ kreist um die Figuren aus Patricia Highsmiths literarischem Kosmos, nicht um die Biographie der Autorin. Jennifer Demmel und Anna- Karoline Schiela erkunden Abgründe hinter bürgerlichen Fassaden und hinterfragen gesellschaftliche Zusammenhänge, lesend, forschend, spielend. Ab und an machen sie auch Musik.
Das Erinnerungsjahr zum 100. Geburtstag ist fast um: Fanden Sie Highsmith in den medialen Veröffentlichungen angemessen gewürdigt? Ist Ihnen in den medialen Erinnerungen etwas Bezeichnendes aufgefallen?
JCA: Es ist schwer zu sagen, ob das Gedenken angemessen war. In diesem Jahr stand die Person im Vordergrund und nicht ihre Werke. Das ist ein Gegensatz zu unserer Theaterarbeit. Eines war jedoch auffällig, nicht erst 2021. Es sind immer schon die gleichen Anekdoten, die zur Erinnerung herange- zogen werden. Schnecken, Alkohol und schlechte Laune. Das Bild der skurrilen alten Frau, die mit Katzen wirft. Dabei wird es doch mit dem erstmaligen Erscheinen der Tagebücher erst so richtig interessant. Die Frage ist, ob sich dadurch das bisherige Bild verstärkt oder ein neues entsteht.
Es gibt auch diverse Verfilmungen. Kennen Sie Filme, die den Spirit der Schriftstellerin treffen?
SLA: Das Aufregendste an Patricia Highsmiths Romanen ist der schonungslose Blick in die Psyche der Täter. Wer das erleben will, muss zu ihren Büchern greifen. Viele Verfilmungen sind in ihrer Wucht abgeschwächt oder zwangsläufig kondensiert. Wenn man sich dessen aber bewusst ist, bereitet zum Beispiel Hitchcocks Verfilmung von „Zwei Fremde im Zug“ großes Vergnügen. Die Karussell- Szene darin ist klasse. Oder auch „Der amerikanische Freund“ von Wim Wenders mit wunderbaren Bildern von Hamburg. Beide Filme entfernen sich weit von der Vorlage, das ist beinahe befreiend.
Was kann der allwöchentliche „Tatort“ von Highsmith lernen? Und was hat die Schriftstellerin der Krimi- Flut, die regelmäßig die Bestsellerlisten stürmt, voraus?
JCA: Bei Patricia Highsmith geht es ja nie darum, herauszufinden, wer ein Verbrechen begangen hat, sondern, wie es soweit kommen konnte. Weswegen wir ihre Bücher auch nicht als Krimis einordnen würden. Sie schafft es, den Alltag, die Eigenschaften und das Verhalten ihrer Figuren auf eine faszinierende, psychologische und analytische Weise sehr genau darzustellen. All das geschieht, ohne reißerisch zu werden und mit viel Liebe zum Detail und den Protagonistinnen. Beim Tatort gab es immer wieder Versuche, Geschichten auf diese Weise zu erzählen. Sie scheinen aber bei einem großen Teil des Publikums nicht gut anzukommen. Ähnliches lässt sich bei Kriminalromanen beobachten.
Text: Mathias Schulze