Normalerweise reist die Puppenspielerin Kerstin Dathe, die sich beim Landeszentrum für freie Theater in Sachsen-Anhalt engagiert, mit ihren Stücken quer durchs Land. Doch was macht sie gerade? Ein Porträt von Mathias Schulze
Die lange Nase des Pinocchios, Kerstin Dathe, Jahrgang 1979 und geboren in Gera, hätte sie momentan gern im Anhaltischen Theater Dessau geführt: „Ich will die Kinderaugen strahlen sehen.“ Es kam anders. Ruft man die Künstlerin in diesen Tagen an, knackt und rauscht es ab und an in der Leitung, man scheint mit einem abgeschiedenen Ort verbunden zu sein. Dathe wohnt im Luftkurort Friedrichsbrunn bei Thale, mitten im Wald, mitten in einem alten Ferienhaus.
Das klingt in Corona-Zeiten nach einem Idyll. „Wir, mein Mann und ich, haben das Haus gekauft und bauen es Stück für Stück aus. Normalerweise bieten wir hier auch Ferienzimmer und -wohnungen an, hier kann man Yoga machen, tanzen, schreiben, kreativ sein, wir veranstalten Weiterbildungen und Kinderprojekttage“, so Dathe. Das sogenannte „Baumhaus“ ist ein Seminarhaus und Begegnungsstätte mit Open Air- Bühne und Lagerfeuerromantik. Und es ist der Sitz des freien Ensembles „Theaterlandschafft“, mitten in der Abgeschiedenheit arbeiten dort Regisseure, Schauspieler, Theaterpädagogen, Musiker, Autoren oder Puppen- und Bühnenbauer.
Dathe spricht schnell und engagiert, bis März 2021 bekommt sie dank eines Teilzeitspielvertrages am Anhaltischen Theater Dessau Kurzarbeitergeld. Was kommt danach? Dathe ist plötzlich kurz angebunden: „Keine Ahnung!” Und sofort ist sie bei ihrem Leib- und Magenthema: „Immer, wenn wir hier in Friedrichsbrunn was veranstalten, verschlägt mir die Dankbarkeit der Gäste die Sprache.“
Dathe kennt sich im ländlichen Raum Sachsen-Anhalts aus, regelmäßig fährt sie mit ihren Inszenierungen auf Dorffeste, in Kitas, Grundschulen oder zu Kindergeburtstagen. Auch das kleine Scheinwerferlicht kann eine enorme Wirkung haben: „Neulich sprach mich jemand in Quedlinburg an: „Ey, du warst doch der dicke Pinguin!“. Ich habe vor mehr als vier Jahren ein solches Stück in der Grundschule gespielt“, erzählt Dathe.
Es gibt Erfahrungen, die prägen ein Leben lang. Die Puppenspielerin wird energisch, ihre Energie lässt einem beim Zuhören nur noch bestätigend nicken: „Die Kunst kämpft, auch unabhängig von Corona, immer um Relevanz. Wenn wir als Theatermacher nur noch auf elitären Bühnen stehen wollen, verlieren wir den Kontakt zum Leben, zu uns selbst und zu unserer Basis.“ Eins müsse allen Kulturschaffenden, ob nun in städtischen Einrichtungen oder in der freien Szene beheimatet, klar sein: „Wir müssen wissen, warum es uns braucht“ Sonst würden die Künstler und die Kunst bald aussterben.
Dathe auffordernd: „Ich sage immer, Leute geht raus, kümmert euch um die Menschen vor Ort! Auch mit wenig Materialien kann man Magie erschaffen.“ Magie und Entrückung. Lässt Kunst auch für diejenigen, die sonst nicht regelmäßig ins Theater gehen, alle Weltbilder für ein paar Minuten aus dem Rahmen fallen, dann ist schon viel gewonnen – auch gesamtgesellschaftlich.
Dathe, die auch für städtische Bühnen Puppen baut und Bühnenbilder entwirft, engagiert sich beim Verein „LanZe“, dem Landeszentrum für freie Theater in Sachsen- Anhalt. Dort versucht sie Überzeugungsarbeit zu leisten: „Wir versuchen den Akteuren zu vermitteln, dass sie hier bleiben sollen, Sachsen- Anhalt ist für viele Freie immer noch eine Durchgangsstation. Es gibt Wenige, die auch den ländlichen Raum bespielen.“
Also muss Lobbyarbeit betrieben werden, die Probleme sind vielfältig. Sachsen-Anhalt hat keine künstlerische Ausbildungsstätte. Und es gibt bürokratische Hürden: Wie verwaltet man sich als Künstler selbst? Wie schreibt man einen Antrag, der sich nicht vom Paragrafendickicht entmutigen lässt? Wie erstellt man einen Kostenfinanzplan? „Diese Aufklärungsarbeit ist die wichtigste, daran scheitern viele hochbegabte Künstler“, so Dathe.
Es brauche mehr Kommunikation. Auf der einen Seite müssten sich die Künstler stärker kulturpolitisch engagieren, auf der anderen Seite bräuchten sie aber auch eine „langfristige Planungsperspektive, nicht nur eine kurzfristige Projektförderung.“ Vieles stecke noch in den Kinderschuhen, einiges sei aber schon geschafft. Dathe versichert, dass Sachsen-Anhalt für freie Künstler ein „Goldgräberland“ ist: „Der Bedarf ist da, die Konkurrenz beileibe nicht so groß wie in den Metropolen, man findet ein Publikum. Und jetzt müssen wir für Strukturen sorgen.“
Text: Mathias Schulze