Der Wahlleipziger Ralph Schüller beweist auch mit seinem neuen Album „Danke. Schade.“, dass er zur Crème de la Crème der deutschen Liedermacherei gehört. Ein Porträt
„Ich bin Suhl in Thüringen geboren. Und Suhl war ja bekanntlich die Abkürzung für sozialistisch unterentwickeltes Hinterland.“ Auch in Viruszeiten eröffnet der Musiker Ralph Schüller, Jahrgang 1968, das Telefonat mit einem Scherz. Freundlich, lässig, bodenständig.
Alle seine Alben durchzieht eine süße Schwermut, die mit mediterraner Leichtigkeit abgeschmeckt ist. Zwischen französischen Chansons und amerikanischem Folk gibt es ein luftiges Sommerkleid- Klangbild, rangiert wird zwischen Element of Crime und Neil Young.
Im Schüller-Gedichtband „Witternd ins Warme“ erinnerte sich Wiglaf Droste an seine ersten Eindrücke: „Er (Schüller) spielte mit seiner Band in Treptow für umme, es war so gut, dass ich 300 Eier in den Hut warf. Danach war ich so froh wie mein Leder hinterher leer. Wenn man nichts mehr hat, hat man alles.“
Gern lässt Schüller sein Leben Revue passieren, bis zum 17. Lebensjahr wuchs er im Örtchen Gehlberg in Thüringen auf. Der Vater ist früh gestorben, er hat zwei Brüder, die Mutter schuftete bei der Post, die kulturellen Einflüsse kamen aus dem Radio des Großvaters und der stillen Dorfbibliothek.
Schüller wollte eigentlich Klarinette lernen, doch die Busse fuhren nur unregelmäßig zur Musikschule nach Suhl. Zu unregelmäßig für „einen stinkfaulen Halbstarken, wie ich es war“, sagt Schüller. 1985 geht es dann doch nach Suhl – ins Lehrlingswohnheim. Elektromechaniker mit Abitur sollte er werden, im Lande gärte es schon. Schüllers Rückblicke: „Fast alle waren damals gegen den Staat, von einem analytischen Blick keine Spur. Wir haben gearbeitet und gefeiert.“ Nach drei Jahren Lehre ging es zur Armee: „Ich wollte es hinter mich bringen und nach Berlin.“
Gelandet ist er beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ – gute 50 Kilometer weit weg von Berlin. Es gab Frühsport und Propaganda, noch ´89 versuchte man die Rekruten heiß zu machen: „Die Anliegen der Bürgerrechtsbewegung drangen zu mir naivem DDR-Freund nur unwirklich vor, uns wurde erklärt, dass Demonstranten den Soldaten Zigaretten ins Gesicht drücken“, sagt Schüller, der Glück hatte, dass er keine Spezialausbildung für Demonstrationen durchlaufen musste.
Dank eines Kulturoffiziers fand er bei der Armee Zugang zu kreativen Kreisen. Die Kunst war nötig, um während der ganzen „Militärscheiße“ nicht zu verblöden. Die Inspirationen kamen von Bob Dylan, Miles Davis, Pension Volkmann oder Hans-Eckardt Wenzel. Als Christa Wolf und die Intellektuellen am 4. November in Berlin sprachen, war Schüller noch in der Kaserne „in Einsatzbereitschaft, die Kalaschnikow nachts ans Bett gelehnt.“
Als es das Heimatland nicht mehr gab, ging es nach Leipzig. Schüllers Fazit der Armeezeit: „Ich hatte in knapp 15 Monaten 70 Auftritte – von der Volkssolidarität bis zur EK-Feier.“
Die Erinnerungen an die Alexanderplatz- Demonstration vom 4. November ‘89 flammen wieder auf, man redete damals auch von einer demokratischen DDR. „Und dann kam sehr schnell eine BRD 2.0.“, sagt Schüller, der ab 1993 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte.
Die unter dem Label „Baseballschlägerjahre“ firmierende Zeit ging auch an ihm nicht vorbei: „Anfang der ‘90 wurde ich von Nazis verprügelt, ich sah halt wie ein Student aus. Damit hatte ich sehr lange zu tun. Das Erschreckende war, dass damals so ungefähr 20 Leute einfach an meinem Geschehen vorbeigelaufen sind.“
Dennoch waren diese Jahre auch eine kreative Zeit: Konzerte in den Hinterhöfen, günstige Mieten, unsanierte Häuser wurden zu Galerien oder Probenräumen. Schüller, der auch als Maler und Grafiker arbeitet, hat den Wandel im Leipziger Stadtteil Connewitz drei Jahrzehnte lang begleitet: „Ich kenne hier viele Ecken und Leute. Trete ich auf die Straße, fühlt es sich so an, als wäre ich im Grunde im Dorf geblieben. Aber es hat sich auch sehr viel verändert. Wie ich mich auch.“
Heute überzeugt Schüllers wunderbares deutschsprachiges Doppelalbum „Danke. Schade.“ mit starken, deutungsoffenen Stimmungsbilder, experimentiert wird mit Stilen wie Reggae, Blues, Jazz oder Klezmer. Lassen wir noch einmal Wiglaf Droste sprechen: „Es gibt eine halbe Handvoll deutschsprachiger Sänger, die Substantielles zu sagen haben. Zu den beiden Granden Danny Dziuk und Hans-Eckardt Wenzel hat sich Ralph Schüller hinzugesellt. Er veröffentlicht seit Jahren Lieder, die zum Feinsten gehören, was man in deutscher Sprache gesungen anhören kann.“
Text: Mathias Schulze