Harry Breast, 13. April, TV Club Leipzig, 20 Uhr, und 13. Juni, Record Release Party im Phonocentrum Leipzig, 19 Uhr, www.harrybreast.de
Der Leipziger Rapper Harry Breast öffnet mit seinem neuen Album „The Walking Breast“ die Pforten zu seiner dystopischen Gedankenwelt. Geschichten über Endzeitszenarien, über nächtliche Sessions im Beatlabor, über das Leben nach dem 30. Geburtstag, über Rechtspopulismus oder Klimaleugnung. Das Album ist eine Fusion aus düsterer Atmosphäre und pulsierendem Boom Bap, eine hypnotische Atmosphäre inklusive. Grund genug, bei Harry Breast nachzufragen
Ich durfte gerade ins Album „The Walking Breast“ reinhören: Das knallt ordentlich! Und die Bedeutung des Bartes springt sofort ins Ohr. Was müsste denn passieren, dass Du Dir das Gesicht komplett rasierst?
Der bleibt definitiv stehen! Mir fällt nichts ein, was passieren müsste, damit ich ihn abschneide. Als Kind habe ich Männer wie Bud Spencer gesehen und gedacht, dass ich auch so einen Bart haben möchte. Aber vielen Dank für die Blumen! Es freut mich, positive Rückmeldungen zu erhalten, da ich alles selbst produziert habe.
„The Walking Breast“ ist …
… in den letzten zwei Jahren entstanden. Das ist der Grund, warum ich selbst an schönsten Sommertagen stundenlang in meinem Studio saß, um alles so zusammenzubauen, damit ich nachts ruhig schlafen kann.
Was verrätst Du eigentlich zu Deiner Herkunft?
Ich bin Baujahr 1987, in einer grauen Plattenbausiedlung im Zwickauer Land aufgewachsen. Das erste Mal bin ich Mitte der 90er Jahre durch meinen großen Bruder mit Hip-Hop in Berührung gekommen. Wir haben gemeinsam oft im Jugendhaus bei uns auf dem Dorf gebreakt. Mein Hip-Hop-Kosmos bestand damals eher aus Breakdance und Graffiti, weniger aus Rap. Als ich zum 12. Geburtstag eine Playstation bekam, fing ich an, meine ersten Beats zu produzieren.
Wie muss man sich das vorstellen?
Das war im Nachhinein ein ganz schöner Krampf mit einem Playstation-Controller Beats zu bauen. Aber es hat funktioniert. Zu dieser Zeit war ich jedoch musikalisch noch nicht in der Hip-Hop-Szene aktiv. Ich hab’ zwar weiter Beats gebaut, aber eher für mich im Kinderzimmer und nicht für die Außenwelt. Nachdem es um meine Hardcoreband, in der ich Schlagzeug spielte, ruhig wurde, erlebte ich um 2010 rum meine persönliche Hip-Hop-Renaissance. In meinem Freundeskreis gab es jedoch kaum Hip-Hop-Heads und somit auch keine potenziellen Rapper oder Rapperinnen für meine Beats. Also griff ich selbst zum Mikrofon. Die Zeit in meinen Bands hat mich sehr geprägt, diese Einflüsse nutze ich für meine Hip-Hop-Songs.
Was treibst Du hier in Leipzig?
Seit zwölf Jahren lebe ich in Leipzig, wo ich viele Leute kennengelernt habe, die selbst rappen oder Beats produzieren. Das hat definitiv gepusht. In Leipzig geht schon – im Gegensatz zu Zwickau – einiges in Sachen Hip-Hop. Es ploppen auf meinen Radar immer wieder Artists auf, wo ich mir denke, wie krass es ist, dass ich die bisher null auf dem Schirm hatte. Aber ich möchte, dass die Leute mich aufgrund meiner Musik wahrnehmen und nicht, weil ich in Leipzig wohne. „Rap hilft mir, diese Welt mit all meinen Gedanken zu kommentieren.“
Wenn Du mal nicht Musik produzierst …
… arbeite ich als Sozialarbeiter in der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Dort verdiene ich hauptsächlich meine Brötchen. Ich gehe nur an vier Tagen pro Woche dieser Lohnarbeit nach, aber meine Woche ist dank meiner Musik und meines Studios ordentlich gefüllt. Wenn ich das in Stunden umrechne, habe ich manchmal eine 70-Stunden-Woche.
Warum machst du Musik?
Haha, das frage ich mich auch manchmal. Im Ernst: Ich habe Freude daran, mich kreativ auszudrücken und war in der Vergangenheit oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um musikalische Inspiration zu finden. Als eines Tages im Jahre 1999 bei uns im besagten Jugendhaus ein Schlagzeug stand, war ich fast jeden Tag nach der Schule dort und habe getrommelt, ohne dass mich jemand genervt hat und mir sagte, was ich zu tun habe. Das ist auch heute noch einer der Gründe, warum ich Musik mache. Ich kann dort einfach sein, wie ich möchte. Das Produzieren von Beats hat für mich auch etwas Meditatives, bei dem ich in meine eigene Welt eintauchen kann, und Rap hilft mir dabei, diese Welt mit all meinen Gedanken zu kommentieren.
Dann gibt es noch ein eigenes Studio und Label: Wie hast Du das geschafft?
Wenn man selbst Beats produziert und seine eigenen Tracks aufnimmt, beschäftigt man sich zwangsläufig mit Mixing und Mastering. Im Laufe der Zeit vertiefte ich mich so sehr in dieses Handwerk, dass ich begann, Aufnahmen anderer Bands zu bearbeiten. Daraus entstand die Idee, gemeinsam mit meinem sehr guten Freund und Label-Kollegen Mobby ein Geschäft in dieser Branche hochzuziehen. Mittlerweile können wir sagen, dass wir Bands am fließenden Band in unseren Studios haben. Da ich nicht nur meine Musik selbst produziere, sondern sie auch digital und physisch mit eigenem Onlineshop vertreibe, war es ein logischer Schritt, ein eigenes Label zu gründen.
Welche Hoffnung ist mit der Musik, mit dem Album verknüpft? Soll es in die Charts, in die Arena gehen?
Ich arbeite eher prozessorientiert, weniger ergebnisorientiert, aber eine Hoffnung auf Erfolg schwingt schon mit. In den Charts oder in der Arena sehe ich mich aber nicht. Da bin ich realistisch, meine Musik ist eher Nische. Ich bin motiviert und investiere viel Zeit und Energie in mein kreatives Schaffen, um Schritt für Schritt voranzukommen. Ich bin nicht ökonomisch von meiner Musik abhängig, das ist ein großer Vorteil. Niemand steht hinter mir und sagt mir, was ich rappen soll, um mehr zu verkaufen. Ich schätze diese Unabhängigkeit, obwohl sie natürlich keinen Chart-Erfolg garantiert.
Was ist Glück für Dich?
Glück ist, wenn ich mir den Beat, den ich stundenlang am Vorabend gebaut habe, anhöre und denke, dass das ganz geil geworden ist.
Text: Mathias Schulze