Elsterbluesband, 15. November, Musikkneipe Anker, 20 Uhr, Eintritt ist frei, alle Termine: facebook.com/elsterbluesband
Rik „Paul“ Ullrich, Sandrino Scherbaum und Koma Kschentz sind die Leipziger „Elsterbluesband“. Zusammen spielen sie Rock’n’Roll und Blues. Ihre Auftritte sind geprägt von Spielfreude und Lebenserfahrung, von Witz und Können. Am 15. November spielt die Band im Anker. Zeit für ein Interview. Zeit für ein Gespräch über den Blues, über Ost und West und über Leipzig
Können Sie sich bitte zuerst einmal vorstellen? Wo kommen Sie her? Was treiben Sie so?
Ullrich: Mein Name ist Rik „Paul“ Ullrich. Geboren wurde ich 1963 in Stralsund. Aufgewachsen auf Rügen habe ich den winter- lichen Stürmen mein Leben abgelauscht. Es sollte abenteuerlich werden und auf keinen Fall langweilig. Wir Kinder waren von der aufgeweckten Art, aber alles sprengte die Entdeckung des Blues und gleichzeitig der Rockmusik. So wie deren Protagonisten wollte ich sein, denn ich spürte die tiefe Wahrhaftigkeit. Da lernte ich etwas Gitarre zu spielen und fing an mit der Klampfe durch die DDR zu trampen. Auf solchen Wegen kam ich nach Leipzig – und hier bin ich geblieben.
In dieser Stadt …
Ullrich: … ging auch schon in den 80ern die Fuhre ab. Ich ging sieben Jahre auf die Musikschule, arbeitete als Bäcker, Lagerist, Brief- und Möbelträger und in der Flaschenannahme einer Kaufhalle. Ich lieferte Essen für alte Leute und Bücher aus, war Taxifahrer und Bauarbeiter. Auch heiratete ich und wurde Vater. Seit der Wende habe ich in verschiedensten Bands live gespielt: In den 90ern mit Stefan Glück und als Mitbegründer der Bluesrockband „White Magpie“ in derselben. Mit Thomas Hanke habe ich eine CD veröffentlicht. Und ich schrieb das Buch „Eine Riesin trug mich übers Meer“, veröffentlicht beim Plöttner-Verlag Leipzig. Im „Flower Power“ dann Nachwuchsarbeit: 600 Dienstage – 12 Jahre lang! – unter dem Motto „Gitarre spielen für Ruhm und Freibier“. Dasselbe Konzept an etlichen Montagen in Dresden und Chemnitz. Ach ja, und sogar in Florida hatte ich zwei Muggen, in Orlando. Und mehrere in Tschechien mit Silke von Durschefsky und Hansi Noack, als Band „Wanted Tambo Toco“ spielten wir wahrhaftige Weltmusik.
Tino Standhaft nicht zu vergessen.
Ullrich: Ja! Dann wieder war ich mit Tino Standhaft unterwegs. Man kann einfach nicht alles aufzählen. Momentan arbeite ich als Laborkurier und gehe einfach nur muggen. Ich erfreue mich an meiner Enkelin. Meine Interessen liegen im musikalischen, aber auch im literarischen Bereich. Resümierend kann ich sagen: Langweilig wurde es nie. Auch wenn das Leben nicht immer den Standard, abenteuerlich zu sein, erfüllt hat, so gab es doch jede Menge Abwechslung.
Ich habe auch die Ehre, Sandrino Scherbaum begrüßen zu dürfen!
Scherbaum: Ja, hallo! Ich bin der Sandrino, Baujahr 1960, stamme ursprünglich aus Thüringen und spiele die Harp und die Gitarre in der Elsterbluesband. Musik mache ich schon seit 40 Jahren. In Leipzig wohne ich seit meiner Jugend. Hier bin ich dann auch durch Freunde und Bekannte zur Musik gekommen und habe in mehreren Bands gespielt. Unter anderem mit Mama Basuto, Powderfinger, Dr. Slide und auch White Magpie.
Die Freude ist ganz meinerseits. Und jetzt ist Koma Kschentz dran.
Kschentz: Moin, also ich bin Koma Kschentz, der Drummer der Elsterbluesband, Jahrgang ’72 und in Leipzig-Lindenthal aufgewachsen, am nördlichen Rand der Stadt. Und ich hab’ auch nie in einer anderen Stadt gewohnt. Zum Zeitpunkt meiner Geburt spielte mein Vater Peter „Pjotr“ Kschentz in der Klaus Renft Combo - bis zu deren Verbot durch die Staatsmacht 1975.
Das sind Gegebenheiten, die …
Kschentz: … sicherlich Einfluss auf mein Leben hatten. Da ich familienbedingt vom Musikerdasein beeinflusst war und mich frühzeitig mit dem Rock 'n Roll und seinen Spielarten beschäftigte, brachte ich mir das Trommeln selber bei. Ab 1988 spielte ich das erste Mal in einer Band, wir versuchten uns an Thrash Metal, schafften es immerhin, zweimal öffentlich aufzutreten. Nach der Wende war ich mit Familiengründungen und mehr oder weniger „normaler“ Arbeit beschäftigt. Ich hatte eine längere Phase ohne feste Band und spielte bei jeder Menge Sessions, bis die ganze Sache um das Jahr 1999 wieder mehr Struktur bekam. Inzwischen hab’ ich in jeder Menge Bands und mit den verschiedensten Musikern gespielt. Ich habe verschiedene Stile und musikalische Varianten ausprobiert, einiges an Aufnahmen eingespielt. Hört mal über „soundcloud.com/ drumkoma“ rein! Und ich bin immer noch mit Entschlossenheit bei der Sache. Letztlich ist für mich alles Rock’n’Roll, so trommle ich auch. Und das hat mich tatsächlich schon zu Konzertreisen nach beispielsweise Moskau oder New York geführt und mir viele geile Momente beschert. Aktuell spiele ich noch bei „Laszlo.Rocks“, in der „Stefan- Saffer-Band“ und bis zum Jahresende noch bei „Joe’s Company“. Nebenher mache ich immer mal wieder Aufnahmen eigener Songs. Ich lass mich auch gerne buchen für Studioaufnahmen oder Live-Gigs.
Erzählen Sie uns bitte etwas über die Geschichte der „Elsterbluesband“.
Ullrich: Das war vor zehn Jahren meine Idee: Eine Band zu gründen, die alles auf einen einfacheren Punkt bringt, die wieder roh und unbehauen sein sollte und einfach nur Spielfreude transportiert. Pure Energie. Eine Band, welche die Leute mit einem besseren Gefühl in die Nacht entlässt, als sie es noch am Abend hatten, als sie vielleicht gar nicht mehr ausgehen wollten, niedergeschlagen von den Widernissen des Lebens. Und so habe ich diese beiden Typen reingeholt. Und ich habe mich nicht geirrt in meiner Wahl.
Der Blues. Manch einer hat ihn, manch einer nicht. Aber was ist das, der Blues? Was sehen Sie in ihm?
Ullrich: Der Blues ist der Ursprung des Ragtime, des Boogie-Woogie, des Jazz, des Rock’n’ Roll und der Rockmusik. Aber, ganz bei sich, ist er Aufschrei, ist er Ausdruck eines grundlegenden Gefühls der unterdrückten Wut gegen die Unzulänglichkeit des Menschseins. Und dabei ist er doch nur Musik – reine Liebe. Sehr ambivalent.
Scherbaum: Und er gibt den Lasten meines Lebens einen Sinn.
Kschentz: Ich weiß nicht, ob ich ihn habe, komme ja ursprünglich aus dem Metal, Hardcore und Punk. Bei mir ist das alles Rock’n’Roll. Wie Paul schon sagte, liegen im Blues die Wurzeln, mir gefällt das Ursprüngliche der Songs, die wir spielen.
Können Sie das Gefühl des gemeinsamen Musizierens in Worte fassen? Was macht das mit Ihnen, mit Ihrer Seele, mit Ihrem Leben?
Scherbaum: Na, wir sind drei Typen, die zusammen passen. Und das gemeinsame Musizieren heilt meine Wunden und gibt mir Kraft.
Ullrich: Da gibt es während eines Konzerts einen Punkt, wo man ganz bei sich ist. Und das in Gemeinschaft anderer Menschen. Dabei meine ich nicht nur die Musiker, sondern auch das Publikum. Du darfst sein, wie du bist. Machst die Augen zu und raus damit. Da passt dann alles zusammen. Großartig!
Kschentz: Musizieren balsamiert meine Seele und hält mich am Leben.
Schauen wir noch einmal in den Rückspiegel: Was haben Sie als Künstler in der Corona-Zeit gelernt? Wie hat sich das Bühnenleben verändert?
Scherbaum: Ich bin dankbar, dass uns das Publikum nicht vergessen hat. Ich habe gelernt, wie schnell sich alles verändern kann.
Ullrich: Ich habe gespürt, wie wichtig es für mich ist, Musik machen zu dürfen. Alles ist noch intensiver geworden. Ein Gefühl von Dankbarkeit. Dem Publikum ging es genauso.
Kschentz: Für mich ist die Erkenntnis wichtig, dass man auch nach Jahren des Musikschaffens die Augen offen halten muss, um sich im Notfall mit anderen Dingen beschäftigen zu können und auf irgendeine andere Art kreativ bleiben zu können. Bei Konzerten erlebt man beim Publikum einen merkwürdigen Zusammenhalt und Freude über kulturelle Aktivitäten, die ich in dieser Form vorher nicht gespürt habe.
Sie kommen aus Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen, also den neuen Bundesländern. Erzählen Sie, fühlen Sie sich als Ossis?
Ullrich: Ich fühle mich als Mensch, der, wenn auch mit Schwierigkeiten und Fehlern behaftet, doch ziemlich geradeaus gegangen ist. Ost oder West, Nord oder Süd spielten keine Rolle. Noch nie.
Kschentz: Ich halte mich für einen Ossi, mag es aber nicht überbewerten. Letztlich ist es doch egal, und die Herkunft eines Menschen spielt für mich keine Rolle. Wichtiger ist doch wie man durch's Leben geht.
Scherbaum: Ich hingegen habe mich nie als Ossi gefühlt, ich war außerdem immer an der großen weiten Welt interessiert.
Kschentz: Außerdem war in der DDR nicht alles gut!
Ein kleines gedankliches Experiment: Was würden Sie heute treiben, wenn, wie Erich Honecker einst sagte, weder Ochs noch Esel den Sozialismus in seinem Lauf aufhalten könnten?
Kschentz: Keine Ahnung, ich wär’ vielleicht im Westen und würde dort Mugge machen.
Scherbaum: Und ich wahrscheinlich im Gefängnis.
Ullrich: Das erscheint nun doch sehr experimentell. Aber, ich hätte Widerspruch geliefert. Keine Ahnung, wo das dann geendet hätte. Der Sozialismus hatte nur eine Chance: Widerspruch zuzulassen. Und diese Chance hat er verpasst.
Gibt es Erfahrungen nach ’89, die Sie alle drei gemeinsam gemacht haben? Erfahrungen, die Sie vielleicht auch so verbinden, dass Sie Einfluss aufs gemeinsame Musizieren haben?
Scherbaum: Der Wunsch nach Freiheit und selbstbestimmten Entscheidungen.
Ullrich: Neben der gemeinsamen Erfahrung als Mugger: Jeder von uns hat sich gut durchgebissen. Viele schlecht bezahlte Jobs oder gescheiterte Beziehungen. Wenn ich die beiden so reden höre, im Auto oder nach der Mugge, dann weiß ich, dass wir genug Dreck gefressen haben, um zu verstehen, was wirklich wichtig ist.
Sie sind nun alle schon länger in Leipzig, kennen die künstlerischen Produktionsbedingungen in der Stadt. Was ist gut? Was sollte verbessert werden?
Ullrich: Wir haben immer viel live gespielt, ich etwa 1.700 Mal. Da lernt man so ziemlich alles, was wichtig ist. Das lernt man nicht beim Lehrer oder im Proberaum. Die Auftrittsorte werden immer weniger. Der Nachwuchs braucht Möglichkeiten!
Scherbaum: Die Hochkultur erhält viel Förderung, die freie Kultur nur temporär oder zu wenig.
Kschentz: Ich war schon immer ein Do-it-yourself-Typ, hab immer versucht, selber was auf die Beine zu stellen. Als „Elsterbluesband“ arbeiten wir auch so, wir produzieren unsere CD’s und Videos selbst, fahren rum und kleben Plakate, verteilen Flyer und managen die Band selber.
Was sehen Sie, wenn Sie durch die Stadt fahren? Wie ist Ihr derzeitiger Eindruck von Leipzig?
Ullrich: Natürlich kenne ich nicht jeden Winkel. Aber die Stadt gleitet ab in den Mainstream, alles wird teurer. Bald sind wir so langweilig wie Dessau, Eilenburg, Altenburg oder Grimma. Alles Städte, in denen einstmals die Fuhre abging. Die 90er waren hier, wie in vielen Städten, der Hammer. Wenn ich allein an die Honky-Tonks denke. Über neunzig Bands! Und Live-Clubs ohne Ende. Ich habe mir vorgenommen, die mal alle aufzuschreiben.
Scherbaum: Ich finde das Spektrum an Clubs und Locations gut. Leipzig ist eine dynamische Stadt.
Kschentz: Und mir scheint, es gibt zu viele Menschen, die merkwürdigerweise eine Führerscheinprüfung bestanden haben und demzufolge auch zu viele Autos auf den Straßen. Und die Anzahl der Leute, die gehetzt, meckernd und teilweise aggressiv durch die Gegend latschen, scheint sich vervielfacht zu haben. Ich muss Paul zustimmen, die Veränderungen die stattfinden, empfinde ich oft als negativ – im Vergleich zu den Neunzigern. Aber das erste Jahrzehnt nach der Wende war auch eine besondere Zeit, die kommt nicht wieder. So muss man letztlich versuchen, positiv zu denken und nach vorne zu schauen.
Wie sehen Ihre Pläne aus?
Kschentz: Auf jeden Fall werden wir sicherlich bald unser zweites Musikvideo produzieren. Unser erstes, „The Iron Curtain“, ging letztes Jahr bei Youtube online. Unbedingt mal anschauen, wer es noch nicht gesehen hat. Im Winter wird es etwas ruhiger, viele Veranstalter scheinen abzuwarten, was die Corona-Maßnahmen mit sich bringen.
Danke für das schöne Gespräch. Hat Spaß gemacht!
Text: Mathias Schulze