Christoph Schenker, „Moviestar“, alle Termine: www.christophschenker.de
Der Leipziger Christoph Schenker ist ein begnadeter Cellist, Bassist, Songwriter, Komponist und Arrangeur für verschiedene Bands und Projekte. Am 30. Juni erscheint sein neues Album „Moviestar“, das das Violoncello in den Mittelpunkt von atmosphärischen Stücken stellt. Irgendwo zwischen Filmmusik, New Classic und Pop gelingen flirrende, vitale und dynamische Passagen, die gerne auch einmal bis zum Bombastischen gehen. Sensibel und punktgenau werden dabei aber immer wieder Ruhepunkte eingeflochten, dazu gehört auch der wunderbare Song „Vöglein“, der von Franziska Hudl gesungen wird. Ein großartiges Album! Grund genug, bei Schenker nachzufragen
Ist es eine reine Liebesbeziehung, oder wie kamen Sie zum Violoncello?
Auf keinen Fall war es Liebe auf den ersten Blick. Als ich sieben Jahre war, wurde es sozusagen von den Eltern „ausgewählt“, man hat meine Anlagen dafür getestet, und dann ging es los in der Musikschu le. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich da groß gefragt wurde. Die Jahre der klassischen Ausbil dung in der Musikschule und des klassischen Violoncello-Studiums verbinde ich in der Erinnerung mit viel Angst, Aufregung und Druck. Ich kann heute kein Haydn-Cello konzert mehr im Radio hören, weil das sofort diese Atmosphäre der Unfreiheit wieder antriggert, die ich empfunden habe, wenn vor mir drei und nach mir noch vier andere Cellostudenten den gleichen Satz aus dem D-Dur-Konzert in einem Testvorspiel vor dem strengen Professor mit der gerunzelten Stirn und den gefalteten Händen abgefeuert haben.
Erfahrungen und Erlebnisse können ambivalent sein.
Die Ambivalenz ist, dass ich oh ne dieses superstrenge Studium niemals das spielen könnte, was ich heute kann. Ich könnte meine eigene Musik niemals wiederge ben, wenn ich nicht auf dieses Technik-Niveau getrimmt worden wäre. Das schaffst du bei einem klassischen Instrument wie dem Cello nicht durch autodidaktisches Üben und rein intrinsischer Moti vation. Also bin ich meinen Eltern und meinen Lehrern jetzt überaus dankbar! Ich musste erst meinen eigenen Zugang zu diesem Instru ment finden, das kam langsam ge gen Ende des Studiums, als ich so 22, 23 Jahre alt war. Aber trotz dem legte ich das Cello danach erst einmal fast komplett zur Seite, als ich drei Jahre E-Bass in Dres den bei Jäcki Reznicek studierte. Über die Beschäftigung mit dem Bass, mit rockigen und jazzigen Spieltechniken, mit Effekt-Geräten und der Elektronik bin ich dann wieder „zurück nach Hause“ ge kommen.
Und dann?
Dann hab‘ ich angefangen, all das auf dem Violoncello zu ma chen, Tonabnehmer dran und los ging’s. Das war die Offenbarung, das war meine Nische, was für ein Spaß! Das entflammte die Liebe zu diesem Instrument! Jetzt finde ich, dass das Cello das schönste Instru ment der Welt ist, gar keine Frage. Es gibt ja manchmal einfache Wahrheiten. So wie die Erdbeere eine perfekte Frucht ist, das Ende der Evolution sozusagen, ist das Violoncello das perfekte Instru ment. Es gibt niemanden, der nicht Erdbeeren und Cello liebt.
Haben Sie so etwas wie eine musikalische Philosophie?
Dass alles erlaubt ist. Beispiel Harmonik: Es ist vollkommen al bern, sich Regeln zu unterwerfen, Angst zu haben, dass man etwas „Überholtes“ schafft. Was wurde man im Studium in Harmonielehre vor Quint- und Oktavparallelen ge warnt, die Anwendung dieser war Sünde und verboten. Man hat sehr viel unfreien Schwachsinn gelehrt bekommen.
Was lernen wir daraus?
Dass die interessanteste und verblüffendste Musik Leute schaf f en, die am besten gar keine Ah nung von Harmonielehre haben! Zuviel Wissen schränkt oft ein und lässt Klischees wiederholen. Oder Beispiel Jazz und Pop: Es gibt so viel superlangweilige Musik von Supervirtuosen, die dir jede Skale und Akkordbeziehung bei 42 Fie ber aufsagen und vorspielen kön nen. Und dann gibt es Songs von Prince und Bowie, die deshalb so großartig und faszinierend sind, weil die garantiert keine Noten le sen oder schreiben konnten – und deswegen „Verbotenes“ einfach unbefangen machten. Auch meine besten Stücke entstehen manch mal am Klavier, wenn ich mich da krass verspiele oder im Akkord vergreife, also ziemlich oft. Diese ungewollten Momente sind manch mal äußerst reizvoll, und die kon serviere ich dann und spinne sie weiter. In welchen Projekten und Bands sind Sie tätig? Ich spiele zur Zeit viel solo, aber es gibt auch weiterhin unsere Band „Cellorazade“, in der der Cel lo-Kollege und Freund Sascha Werchau und ich mit viel Elektro nik und Loopstations spielen. Dann bin ich bei allen möglichen Kollaborationen meist dabei, wo ein Cello gewollt ist, das auch mal frei und improvisativ gespielt wird, beispielsweise in Stephan Königs „LeipJAZZig-Orkester“. Sehr dank bar bin ich, dass ich nun schon seit 20 Jahren für das Kabarett „acade mixer“ komponieren und spielen darf. Ansonsten schreibe ich Thea termusiken und zur Zeit auch viele Cello-Arrangements für Bands oder Singer / Songwriter wie Nadi ne Maria Schmidt, June Cocó oder Karo Nero, die ich auch prakti scherweise gleich selbst im Home studio einspiele. Das macht un g laublich viel Spaß.
Lassen Sie uns ein wenig auf Leipzig schauen.
Leipzig ist wunderbar, perfekt in vielen Hinsichten. Weltkultur gibt es fußläufig genauso wie Weltklas se-Fußball. In Leipzig wohnst du quasi im grünsten Urwaldgebiet und bist gleichzeitig in einer bun ten, modernen Stadt. Neuerdings haben wir sogar kristallklare Seen ringsum. Sorgen macht mir die Wohnsituation, es ist mir uner klärlich, wer diese Mieten bei Neuvermietungen inzwischen zah len kann. Dass mit dem Grund recht auf Wohnen derartig speku liert und Geld gemacht werden darf, halte ich für äußerst unge sund und unmoralisch.
Text: Mathias Schulze