Baader - Ein Requiem, am 13. Juli um 20.30 Uhr, am 14. Juli um 18 Uhr, WUK Theater Quartier in Halle – Open-Air, alles über Timm Völker unter www.trocadero-home.com
„Baader – ein Requiem“ heißt eine Lesung in Halle, die sich dem Werk des halleschen Dichters Matthias „Baader“ Holst nähert. Gestaltet wird sie von Luise Lein, Florian Hein, Maximilian Riethmüller und dem Leipziger Timm Völker. Grund genug, bei Völker, Jahrgang 1987, nachzufragen
Hallo ,Timm, Sie sind in Halle geboren und lebst schon einige Zeit in Leipzig: Warum?
Ich wurde in Halle geboren, weil meine Eltern von dort sind. Da es für sie keinen Grund gab, wegzuziehen, wuchs ich auch dort auf. Nach Leipzig bin ich mit Anfang 20 gegangen, weil ich auf einer nächtlichen Fahrt in der S-Bahn von Halle nach Leipzig einen Job als Musiker am damaligen Centraltheater (heute Schauspiel Leipzig; Anm. d. Red.) angeboten bekommen habe. Dann bin ich in Leipzig geblieben. Einfach so.
Was ist für Sie der Unterschied zwischen Halle und Leipzig?
Auf nächtlichen Spaziergängen zwischen den Bars erzählen mir Bekannte, die schon länger in Leipzig wohnen, von den Dieselloks und Güterzügen, die durch die Straßen gefahren sind, also zwischen den Wohnhäusern und Industriebauten durch, die jetzt Lofts und Eigentumswohnungen der besser Betuchten sind. Hier kann man Veränderung, den Lauf der Zeit sehr gut spüren. „Das Werk von Matthias ,Baader’ Holst ist späte DDR-Geschichte – im Mörser zerstampft, mit Leuna-Saale-Wasser übergossen, in ein Superfestglas gekippt und dann auf Ex getrunken.“
Und Halle?
Das ist für mich schon immer ein Ort der Gegensätze gewesen. Einerseits die ehemalige Industrie und der Abfuck, aber eben auch das Romantische, Verwunschene, Verwucherte am Galgenberg, der Rabeninsel oder der Katzenbuckelbrücke in Trotha. Dazwischen der Fluss, der noch Schaumkronen trug, als ich klein war. Diese Gegensätze – Dreck und Romantik – haben mich, mein Denken und meine Musik geprägt.
Wie kamen Sie jetzt zu Matthias „Baader“ Holst?
Das Werk von Matthias „Baader“ Holst ist späte DDR-Geschichte – im Mörser zerstampft, mit LeunaSaale-Wasser übergossen, in ein Superfestglas gekippt und dann auf Ex getrunken. Muss man probiert haben! Maximilian Riethmüller, auch Hallenser und Wahlberliner, hat ein Requiem für „Baader“ geschrieben, das dem Autor und Performer sehr gerecht wird. Es ist verrückt, brutal, romantisch, es wird gebrüllt, gesungen, es wird ein Hintern zu sehen sein und am Ende klingelt eine Straßenbahn, die „Baader“ im echten Leben 1990 in den Tod riss. Ich wurde gefragt, ob ich einen Song beitragen möchte, was ich natürlich sehr gern tun werde. Auf „Baader“ gebracht hat mich mein damaliger Bassist Frithjof Rehahn (Trio „206“), da muss ich 17 gewesen sein. Der hatte eine Platte von „Baader“, wir haben den Song „Urmutter“ gecovert. Später, mit 21 oder so, durfte ich dann am Thalia Theater in Halle eine „Baader“- Performance machen, in der ich seine Texte zu skelettiertem gelooptem Gitarrenkrach schrie und sprach. Ich finde, es wird endlich Zeit für eine Ehrenplakette an seinem Geburtshaus oben an der Magdeburger Straße!
Im Film „Falke überm Haus“ werden Ihre Reisen durchs ländliche Land (Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen) dokumentiert. Haben Sie während der Reisen Erfahrungen gesammelt, die Ihren Blick – auch auf die Wahlergebnisse vom Juni – geschärft haben?
Auf der Tour, die ich gemeinsam mit dem Gitarristen Patrice Lipeb unternahm und die der Film begleitet, haben wir durchweg positive Erfahrungen mit den Menschen gemacht. Ich denke, dass liegt einerseits daran, dass Menschen erst einmal happy sind, wenn sie Musik hören. Für die meisten ist sie eine Abwechslung zum Alltag, sie sind froh einfach mal abschalten zu können. Andererseits bin ich mir bewusst, dass die Gemeinschaften, egal ob auf dem Dorf oder in der Stadt so abgegrenzt voneinander leben, dass wir gar nicht erst in Kontakt mit der bösen Seite von Dunkeldeutschland gekommen sind. Am Ende stehen wir alle gemeinsam an einem gesellschaftlichen Kipppunkt. Viele hier haben damit schon mal Erfahrung gehabt, ich dachte lange Zeit, dass aus dieser Erfahrung und den Fehlern der Vergangenheit gelernt wurde, es besser zu machen. Immerhin: In einer Demokratie entscheidet die Mehrheit. Das bleibt eine Chance. Aber wenn die Mehrheit die Demokratie abschafft, wird es wirklich dunkel. Und dann: Will es wieder keiner gewesen sein. Wollen wir so etwas? Ich nicht!
Und erst neulich haben Sie das Buch „Die Schwerkraft provozieren“ vorgelegt.
Das passierte einfach, ganz plötzlich. Es versammelt kurze tagebuchähnliche Texte und Reflexionen auf die Gesellschaft und mich als Individuum, die über die letzten Jahre beim Unterwegssein oder schlaflos im Bett herumwälzen entstanden. Ulrich Leinz vom Berliner Gans Verlag hat es dann veröffentlicht. Dazu gibt’s auch ein Hörbuch (Völker X Dosenweiler), auf dem ich einige der Texte auf Dub-Tracks eingelesen habe. Von der Stimmung ungefähr wie eine Fahrt in der Dämmerung über die A14 und A9 von Halle nach Leipzig-West. Das Hörbuch dauert auch ungefähr so lang.
Welche Termine stehen neben „Baader“ in Leipzig und Halle in den kommenden Monaten noch an?
Am 18. Juli werde ich gemeinsam mit Patrice Lipeb zur RomanPremierenfeier von Martina Hefter ein Konzert spielen, bei „Rotorbooks“ in Leipzig. Am 27. Juli lese ich in der Gassmühle in Rotta bei Bad Schmiedeberg auf einem Floß aus Treibholz aus meinem Buch und mach da auch ein bisschen Swamp-Blues mit Jan „King“ Kuhlbrodt. Im August dann noch ein Konzert gemeinsam mit Hotel Rimini im Objekt 5 in Halle.
Text: Mathias Schulze