Die Kathedrale von Monet – Freiheit des Malens, Panometer Leipzig, täglich von 10 bis 17 Uhr, www.panometer.de
Das Panometer Leipzig zeigt Yadegar Asisis Panorama „Die Kathedrale von Monet – Freiheit des Malens“
Was ist die Realität? Angesichts des Panoramas „Die Kathedrale von Monet - Freiheit des Malens“ darf man sich diese unspezifischen Frage vorlegen. Und sie wird beantwortet! Der Reihe nach: Asisi hat ein Ölgemälde im Stil des Impressionismus geschaffen. Anschließend wurde es hochauflösend digitalisiert, vergrößert, auf Stoff gedruckt und als 360 Grad-Panorama inszeniert. Dabei ließ sich Asisi von Claude Monets Gemäldeserie „Die Kathedrale von Rouen“, die die Kirche – genauer unsere Empfindungen derselben – unter verschiedensten Lichteinflüssen zeigt, inspirieren. Im Gegensatz zu Monet beschränkte sich Asisi nicht nur auf den Prachtbau. Asisi zeigt den Vorplatz, die Gassen, das Lumpenproletariat, die vornehmen Schichten, die Pferdekutschen und Bürgerhäuser der „Belle Époque“. Es ist, als stünde man 1894 auf dem Kathedralplatz von Rouen. Ergänzt wird das Rundbild in den Vorräumen mit über 200 Werken von Yadegar Asisi. Aber was entfaltet sich, wenn man den Besichtigungsturm im Panometer besteigt? Zu empfinden bekommt man einen ganzen Tag. Beständig begleitet von Klängen (Musik: Eric Babak) und wechselnden Lichtverhältnissen erlebt man einen Sonnenaufgang, ein Tagestreiben, ein langsames Ermatten und ein melancholisches Gleiten in die Nacht. Glocken läuten, Vögel zwitschern, Hunde bellen, Kinder lärmen, Pferde traben. Das Panorama verändert sich nicht im Geringsten, aber die Lichtsituationen, Geräusche und Farben verändern unsere Empfindungen, unsere Realitätswahrnehmungen. Wirkte der von der Masse isolierte Mann am Kathedralen-Tor am Morgen noch hoffnungsvoll wartend, scheint es in der Mitte des Tages so, als würde er gleich beginnen, seinen Gang tatkräftig zu beschleunigen. Aber im warmen orange-roten Licht der Abendsonne scheint es keinen Zweifel mehr zu geben: Dieser Mann am Kathedralen-Tor ist einsam und traurig, er hat den ganzen Tag umsonst gewartet. Ganz in der Tradition des Impressionen sind es auch im Panometer die mal freundlichen, mal unwirtlichen Lichtverhältnisse und flüchtigen Geräusche, die unsere Wahrnehmung der Welt prägen. In Wirklichkeit sehen wir immer denselben Mann, dieselbe Kathedrale, dieselbe Stadtszenerie. Aber in unserer Realität erleben wir immer etwas anderes. Ja, unsere Realität ist nichts anderes als unser vielfach beeinflusster Blickwinkel, unsere vielfach beeinflussten Empfindungen. Eine sehenswerte Schau.
Text: Mathias Schulze