„Claude Monet – Master of Colors and Lights“, Leipziger Kunstkraftwerk, bis Juni 2024, www.kunstkraftwerk-leipzig.com
Ein Plädoyer für das Betrachten der echten Phänomene der Welt: Das Kunstkraftwerk Leipzig zeigt die multimediale Schau „Claude Monet – Master of Colors and Lights“
Verwaschen, unscharf, flüchtig, dekadent! Die Bilder transportieren doch nur Impressionen, nur individuelle Empfindungen! Die Vorwürfe, die sich der französische Maler Claude Monet (1840-1926) Ende der 1860er Jahre, seit seiner Abkehr von den sogenannten realistischen Bildern, anhören musste, wogen schwer. Heute kann man über diese Borniertheit, die von einflussreichen Kritikern kam, nur den Kopf schütteln. Heute weiß man, dass Monet mit dem Festhalten von Licht- und Farbphänomenen in der Natur, mit dem Verlassen des Ateliers, mit dem Beobachten der Tages- und Jahreszeiten und mit einem getupften Malduktus eine eigene Stilrichtung namens Impressionismus mitbegründet hat. Weltgeschichtlicher Ruhm, eine Abkehr vom dominierenden Geschmack hat oft einen Preis. Und Monet zahlte: Mehr als zwanzig Jahre lang lebte er von der Hand in den Mund. „Paradoxerweise war man – vermittelt über digitale Kunst – gerade berauscht von dem sinnlichen Anstrich der echten Welt.“ Im Kunstkraftwerk Leipzig ehrt man den Künstler auf multimediale Weise, „Claude Monet – Master of Colors and Lights“ heißt die neue Schau. Der Andrang ist groß, ein Schild am Eingang verrät es: „Kommen Sie bitte später wieder!“ Doch auf welche „Abenteuerreise“ so heißt es im Pressetext darf sich das Publikum begeben? Bevor man es sich in der Maschinenhalle eines ehemaligen Heizwerkes gemütlich machen kann, sind die biografischen Daten einsehbar. Eine Einführung folgt akustisch: Der Familienmensch Monet musste lange um Anerkennung ringen, die Gasbeleuchtung tauchte Paris damals in neue Lichtverhältnisse, Bleituben ermöglichten das Malen in der Natur, verhinderten das Austrocknen der Farben. Und dann überrascht die 35-minütige Show mit dem Einspielen echter Naturaufnahmen. Das Meer rauscht über die bis zu acht Meter hohen Wände der Halle, man sitzt inmitten einer brandenden Gischt, die Klippen, die goldenen Getreidefelder oder die Seerosen sind zum Greifen nah. Digitale Naturerfahrungen im zubetonierten Leipziger Westen. Ein Spiel mit den Impressionen des Publikums. Genau daraus erwächst ein großartiger Kunstgriff: Langsam lässt der MultimediaKünstler Stefano Fake, der mehr als 300 Gemälde und Skizzen Monets zu 17 Szenen gefügt hat, unkonkrete und verwaschene Einzelteile der Originalwerke über die realen Szenen laufen. Langsam wird daraus die multimediale Wiedergabe der Originalwerke. Es wird gepuzzelt und gebastelt. Langsam wird aus den unscharfen Einzelteilen ein in sich schlüssiges Gemälde, das genau jene seelischen Eindrücke vermittelt, die eben noch die realen Szenen zu stimulieren wussten. Ein genialer Kunstgriff. So erkennt man, dass das Spektrum flirrender Farben, die flüchtige Wirkung von Licht und die unterschiedlichsten Schattierungen von Tages- und Jahreszeiten etwas Zeitloses sind. So erkennt man immer im Abgleich mit den realen Szenen - wie präzise Monet die menschliche Empfindung in Gemälden festhalten konnte. Man denke nur an jene Menschen, die ihre Emotionen bei besonderen Anlässen mithilfe des Smartphones fixieren wollen. Monets Gemälde, seien es nun Motive des Sonnenaufgangs, sei es die Seerosen-Serie, die „Frau mit Sonnenschirm“ (1886), der „Bahnhof Paris-Saint-Lazare“ (1877) oder „Die Terrasse von Sainte-Adresse“ (1867), schaffen das, was keine technische Errungenschaft allein gewährleisten kann: Sie halten unsere stillen, euphorischen, melancholischen oder trübsinnigen Gefühle, die uns beim Anblick der Natur oder der Menschen heimsuchen können, auf geniale Weise fest. Schieben sich im Kunstkraftwerk scheinbar unbestimmte Farbkleckse übereinander, ist das Erstaunen groß, wenn die Einzelteile als Ganzes eine präzise Empfindung transportieren können, die mitnichten so individuell ist, wie es die damaligen Kritiker behauptet haben. Ganz im Gegenteil. Dieses in Farben getauchte Paris, diese lichtgeflutete Kathedrale von Rouen oder dieser üppig blühende Garten von Gyverny stimulieren universale Gefühlszustände. Natürlich darf die Musik der „Belle Époque“ von Claude Debussy, Georges Bizet oder Jacques Offenbach nicht fehlen. Am Ende - in der Kesselhalle wird noch ein Gemälde Pixel für Pixel zerlegt, im Keller kann man diverse Installationen bestaunen – steht man vor einem künstlichen Werk, das Seerosen imaginieren will. Ein krasser Wahrnehmungsbruch. Paradoxerweise war man – vermittelt über digitale Kunst – gerade berauscht von dem sinnlichen Anstrich der echten Welt. Umso künstlicher wirken nun diese Farbscheiben. So wirbt eine multimediale Show für ein intensives Betrachten der realen Phänomene. Herrlich verrückte (Kunst-)Welt!
Text: Mathias Schulze