„War is over“, Capa-Haus in der Jahnallee 61, Dienstag bis Freitag und jeden dritten Sonntag im Monat von 11 bis 16 Uhr geöffnet, Eintritt frei, alle Veranstalter unter www.capa-haus.org
Das Capa-Haus in Leipzig ist eine Erinnerungsstätte an die NS-Herrschaft und an die Befreiung 1945. Mit der Ausstellung „War is over“ ist es fortan dauerhaft geöffnet
Ein Kopfschuss und viel Blut. Atmete der Körper gut zwei Wochen nach seinem 21. Geburtstag eben noch die nahende Leipziger Frühlingsluft, fließt jetzt seine lebenserhaltende Körperflüssigkeit in einem breiten Strom über das massive Parkett einer Wohnung. Erschossen auf dem Balkon eines Hauses, zusammengesackt so kurz vor dem Ziel. Es ist der 18. April 1945, wir sind in der Jahnallee 61 in Leipzig. Der gerade gestorbene Raymond J. Bowman war Teil der zweiten Infanteriedivision der US-Army. Der Widerstand der deutschen Soldaten ist bald gebrochen. Die Befreiung Leipzigs vom Nationalsozialismus gelingt. Am 1. Juli ziehen sich die amerikanischen Soldaten zurück. Am 2. übernehmen russische Einheiten die Kontrolle der Stadt. Doch noch liegen die Leichen in der Stadt. Der junge Soldat Lehmann Riggs muss an jenem April-Tag den Tod seines Freundes hautnah miterleben, gerade hatten sie noch zusammen das schwere Maschinengewehr gehalten. Was wäre passiert, wenn Bowman eine Minute später auf den Balkon gegangen wäre, wenn er noch ein wenig auf dem einladenden Stuhl in der Wohnung gesessen hätte? Tragische Schicksale, die Weltgeschichte und ihre Kriege, niemand kann all die Opfer mehr zählen. Aber am 18. April 1945 ist auch Robert Capa, der als André Friedmann 1913 in Budapest geboren wurde und als ikonischer Kriegsreporter 1954 durch eine tödliche Mine in Südostasien starb, in der Jahnallee 61. Capa hat die Kamera dabei. Eben hat er noch Riggs und Bowman noch zusammen fotografiert. Und jetzt hält er die Todessekunden des jungen Bowman fest. Das Bild wird in der Fotoserie „Last Man to Die“ („Der letzte Tote des Krieges“) am 14. Mai 1945 im Life-Magazin veröffentlicht und machte Capa weltberühmt.„Die Capa-Fotos führen plastisch in eine Vergangenheit, die mit Blick aufs Weltgeschehen so gegenwärtig ist.“Fortan sind einige seiner Fotos in eben jener Jahnallee 61 zu sehen, die Dauerausstellung trägt den Titel „War is over“. Die Schau protokolliert die Rettung des Hauses, das 2011 von der Stadt Leipzig zum Abriss freigegeben war. Heute beherbergt das Haus Wohnungen. Und im Erdgeschoss ist dank einer langfristigen Anmietung durch die Stadt ein Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Begegnungsort entstanden, der vom Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, dem Verlag Hentrich & Hentrich, von der Initiative Capa-Haus und von der Capa Culture gGmbH bespielt wird. Die Capa-Fotos führen plastisch in eine Vergangenheit, die mit Blick aufs Weltgeschehen so gegenwärtig ist. Leipzig im April 1945: In den Straßen stehen Panzer, die Straßenbahnen sind entgleist, die Häuser zerstört. Deutsche Soldaten strecken die Arme in die Luft, in den Straßen stehen Zivilisten mit Fahrrädern, die die Amerikaner als Befreier empfangen. Mittendrin, gerade aus den Luftschutzkellern gekommen, spielen Kinder. Es ist die Realität und diese eingefangene grausame Banalität des Krieges, die diese Fotos so eindrucksvoll machen. Es sind diese fragenden und ratlosen Blicke der Soldaten, die an die Nieren gehen. Es ist, als würden all diese Männer gar nicht wissen, was sie da gerade tun. Die Desillusionierung und der Schmerz sind mit Händen zu greifen. Im Gästebuch der Schau steht dieser Satz: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das passiert ist.“ Im Gästebuch schildert jemand, wie er als Zehnjähriger ein weißes Betttuch an einen Besenstiel befestigte. Die Fahne der Kapitulation wurde aus dem Fenster gehangen. Die Ausstellung zeigt die Fotoapparate Capas, den Stuhl und den Schreibtisch aus dem Jahre 1945. Man sieht eine amerikanische Uniform und Original-Helme der damaligen Soldaten. Ein Plakat im großen Fenster des kleinen Ausstellungsraumes schützt vor den äußeren Einflüssen der Gegenwart. So kann man sich den Objekten hingeben, so kann man in Ruhe einen Film schauen, der davon berichtet, wie der Kabarettist Meigl Hoffmann, einer der vielen Capa-Haus-Retter, den mittlerweile verstorbenen Lehman Riggs in Leipzig empfängt. Der Krieg als untilgbare seelische Erschütterung. Einzelschicksale, die zu Tränen rühren. Einzelschicksale im Meer von Millionen. Auch Capas Partnerin, die bereits 1937 im spanischen Bürgerkrieg ums Leben gekommene Fotografin Gerda Taro, bekommt ihre Würdigung. Steht man nach dem Besuch der Schau wieder vor dem Haus, sieht man jene Straßenzüge und Bäume der Gegenwart, deren Vergangenheit eben noch auf den Bildern geschildert wurde. Die Gnade der späteren Geburt wird körperlich fühlbar. Eine Sprachlosigkeit, die hart zu Herzen geht. Auch deswegen kann die geglückte Rettung des Capa-Hauses nicht hoch genug gewürdigt werden.
Text: Mathias Schulze