Maja Graf, alle Infos unter: www.meetmajagraf.com
Die Leipzigerin Maja Graf ist Studentin und Sexarbeiterin. Warum macht sie das? Ein Porträt von Mathias Schulze
„Aufmerksamkeit!“ Auf die Frage, was die Menschen wollen, die zu ihr kommen, antwortet die Sexarbeiterin Maja Graf mit einer großen Selbstverständlichkeit. Kaum hat Graf dieses eine Wort nüchtern, klar und abgeklärt in den Raum gestellt, öffnet sich im Zwiegespräch in einem Leipziger Café ein zwischenmenschlichgesellschaftlicher Raum, der billigen Klischees keine Chance lässt. Klar, die aus einem privilegierten Elternhaus stammende junge Studentin kennt die widerlichen Aspekte ihres Berufes. Routiniert erzählt Graf, die gerade die Anfangszeit ihres dritten Lebensjahrzehnts betreten hat, von ihren unerfreulichen Erfahrungen mit einschlägigen Agenturen: Muss ein Bewerbungsgespräch bei einem einflussreichen Mann mit einem übergriffigen Kuss auf den Mund enden? Obwohl eine Agentur für Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen hilfreich sein kann, hat Graf auch aus Sätzen wie „Mal gucken, wie du dich benimmst“ ihre Konsequenzen gezogen: Graf, die betont, dass es auch gute Agenturen gibt, hat sich in der Messestadt selbstständig gemacht. Also landen Anfragen wie „Weiß, 52, fit“ auf ihrem Schreibtisch, also muss sie sich selbst vermarkten, die sozialen Netzwerke selbst bespielen. Jeden Morgen checkt sie am Küchentisch die schriftlichen Anfragen, das Bauchgefühl darf entscheiden, ob sie antwortet. Graf erzählt: „Wenn sich jemand respektvoll äußert, ich beim Lesen ein gutes Gefühl habe, dann passt das. Das Körperliche ist nicht so wichtig. Der nackte Mensch ist keine Instagram-Plattform – das ist für mich okay.“ Entscheidend ist die Sympathie, ein ansprechendes Anschreiben. Für Graf ist das ein Selektionsprozess, der in wenigen Sekunden entschieden ist. Ein Selektionsprozess, der bislang dafür sorgte, dass sie von schlechten Erfahrungen verschont blieb.
Und schaut man sich ihre Homepage an, sorgt sogleich ein geschmackvoller, reflektierter und kulturbeflissener Ton für Respekt. Keine schnelle Nummer, nirgends. Aber was treibt sie an? Warum macht sie das? Erneut überrascht Graf, die 2021 aus dem Land Brandenburg nach Leipzig kam, mit einem souveränen Ton: „Es geht mir nicht ausschließlich ums Geld! Der Job bietet mir die Möglichkeit, verschiedenste soziale Schichten kennenzulernen. Normalerweise lebt man mit Gleichgesinnten in seiner Blase. Ich finde es schön, da immer mal wieder rauszukommen.“ Aber kann man das nicht auch ohne intensiven körperlichen Kontakt ausleben? „Ich komme aus einer langjährigen Beziehung, kenne meinen Körper und weiß, was ich tun muss, um beim Sex auch selbst Spaß zu haben. Mit meinen Kunden habe ich oft Orgasmen“, sagt Graf, die noch auf einen ganz besonderen und immer wieder unterschätzten Aspekt verweist: „Als ich volljährig wurde, fingen die CoronaLockdowns an. Das war keine normale Jugendzeit, man war eingeschränkt – und mit der Dorfjugend wollte ich nicht saufen gehen. Ich glaube, Escort ist meine Art, mich auszuleben.“ Und wieder öffnet sich ein zwischenmenschlich-gesellschaftlicher Raum, wieder gelingt Graf ein Satz, der gerade aus ihrem Munde umso erstaunlicher klingt: „Ich habe noch nie Alkohol getrunken, noch nie Drogen genommen. Ich war noch nie auf einer Party!“ Stattdessen trifft sie heute Geschäftsmänner, Gleichaltrige, Senioren, Weltenbummler oder Kulturinteressierte. Manchmal zeigen die Herren beim Dinner Bilder von ihrem Leben, von ihren Kindern. Manchmal wird sie auf eine Reise in andere Länder eingeladen, manchmal will der Kunde nur einen Spaziergang machen. Aufmerksamkeit. Über die Idee eines Sexkaufverbots – so wie es beispielsweise Dorothee Bär (CSU) Mitte vergangenen Jahres vorgeschlagen hat – kann Graf nur müde lächeln: „Ein Verbot würde denen am meisten schaden, die es eigentlich schützen soll.“ Stattdessen wünscht sie sich ein Ende der Stigmatisierung, stattdessen kann sie ganz konkrete Wünsche vorlegen: „Sexarbeit muss gesellschaftlich tatsächlich als Arbeit akzeptiert werden.“ Und die regelmäßigen Gesundheitstest? Erklärungen: „Die Kosten dafür trage ich selbst. Ich fände es gut, wenn der Zugang dazu erleichtert werden würde – für alle, nicht nur für Sexworker und Sexworkerinnen. Jeder Mensch, der regelmäßig mit wechselnden Partnern aktiv ist, sollte sich testen lassen.“ Graf erzählt davon, dass sie auch von vielen Paaren kontaktiert wird – meistens bleibt es aber bei einer losen Anfrage: „Ein Dreier ist eine erregende Phantasie. Wird es aber konkret, ziehen dann doch viele zurück.“ Die Treffen finden in Hotels statt. Hat sie manchmal Angst? „Ich verrate Vertrauten, wann und wo ich mich wie lange treffe. Nach dem Date melde ich mich bei Ihnen. Und im Hotel ist die Security schnell gerufen“, sagt Graf. In Konflikte kommt sie eher, wenn die Mutter fragt, was sie so treibt, wenn sie glaubt, ihre Tochter führe ein langweiliges Leben – derweil sie gerade in Luxushotels in England weilt. Auch kurzfristige Absagen gehören zu den nervigen Dingen des Jobs. Graf erklärt: „Da sind wir erneut bei dem Thema: Sexwork is work, nicht nur ein Hobby. Einen Termin beim Arzt sagt man auch nicht leichtfertig ab.“ Bevor Politiker – von Olaf Scholz bis Dorothee Bär – sich mit Sexkaufverbots-Ideen in der Öffentlichkeit zu Wort melden, könnten sie sich ja auch einfach mal mit Menschen wie Maja Graf unterhalten.
Text: Mathias Schulze