Geneigte Leser*,
da ist ein Widerspruch, der mich doch schon stören sollte. Tut er aber nicht. Eher im Gegenteil. Und der geht so: Je tiefer dieses Land in die Krise rutscht, desto weniger gelingt es mir, mich darüber zu empören. Es geht um das deutsche Gesellschaftstischtuch. Und das ist mittlerweile an echt allen Ecken zu kurz. Und glitschig wie ein Stück Seife in der Wanne. Bildung, Digitalisierung, Energie? Migration, Verkehr oder Verteidigung? Egal an welchem Problem-Ende man ziehen möchte, man bekommt es nicht wirklich zu fassen. Und dabei ist die Mutter aller Probleme in diesem Drama noch nicht einmal erwähnt: „Olaf Scholz?“ Kein schlechter Tip. Aber der spielt schon den Vater. In einer Rolle ohne Text, versteht sich. Wozu soll er auch Text lernen, an den er sich eh nicht erinnern kann. Nein, die Mutter ist die Klimakrise. Sie ist Zutat, wenn nicht Auslöser der meisten anderen Krisen. Zu groß um greifbar zu sein. Oder: Nicht zu fassen! Im wahrsten Sinne. Folgt hieraus der Fatalismus, sich nicht mehr empören zu können? Sehr gut möglich und auch gar nicht schlimm. Die Welt ist sehr wahrscheinlich über den Kipp-Punkt hinweg und taumelt ihrem Ende entgegen. Bis es soweit ist, könnte man Freunde und Familie treffen, ein wenig in die Herbstsonne blinzeln und später Tanzen gehen. Das werde ich machen. Nur, ich bin die vorletzte Generation. Bei uns wollte man noch irgendwas mit Medien machen. Die letzte Generation heute macht irgendwas mit Kleben. Und zwar rechts wie links. Wichtig dabei, alle anderen dürfen nicht begreifen, worum es dabei geht. Die Einen kleben Sticker auf Autos: „Greta, ich verbrenne meinen Diesel mit Liebe!“ „Ja? Mach doch, Idiot!“ Die Anderen sich selbst auf den Asphalt. Und zwar „so lange, bis sich die Regierung zum 1,5-Grad-Ziel bekannt hat.“ Puh, das wird knapp! Da könnten einige schneller die letzten ihrer Generation sein, als ihnen lieb ist. Wie dem auch sei: Aufkleber, Hände? Dafür oder dagegen? Hauptsache was mit Kleben - und aus Prinzip dagegen! Aus Prinzip dafür müsste doch aber die Klebstoffindustrie sein. Wo bleibt die Marke „Klimakleber“ im Handel? Müsste doch eigentlich der Renner sein. Lesen Sie deshalb in der nächsten Folge: Versagt jetzt auch noch der Kapitalismus und was hat das alles mit Klaus Kleber zu tun?
Eike Käubler