Die „Spaziergeberin“, alle Infos: www.die-spaziergeberin.de
Die 43-jährige Schriftstellerin Anke John kann man als Globetrotterin be-zeichnen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Markkleeberg bei Leipzig. Unter dem Pseudonym Frau Fabulus schreibt sie Kinderbücher, als Jerry J. Smith verfasst sie Romane. Nun bietet sie gegen Bezahlung Spaziergänge an. Grund genug, bei John nachzufragen
Wie sind Sie auf das Projekt „Spaziergeberin“ gekommen?
Es entstand aus dem Bedürfnis heraus, trotz wegfallender Lesungen und Veranstaltungen in der Corona-Zeit, den Menschen Lebensfreude und Gesellschaft geben zu können und auch etwas Geld zu verdienen. Ich liebe es, spazieren zu gehen, egal, bei welchem Wetter.
Jemanden für einen Spaziergang zu buchen, klingt für mich ein wenig traurig, zeugt es doch von Einsamkeit, oder?
Ich finde es nicht traurig, wenn sich Menschen – sollten sie sich einsam fühlen – Gesellschaft suchen. Im Gegenteil, es zeugt von Stärke, aktiv die Zügel für das eigene Glück in die Hand zu nehmen. Einsamkeit ist nur dann traurig, wenn man sie selbst als nega-tiv empfindet und darin verhaftet bleibt. Und die Menschen, die mit mir spazieren gehen, sind nicht zwingend einsam. Das Gros meiner Kundschaft bucht mich als verschwiegene Außenstehende, um über ihre Träume und Ängste zu sprechen. Oder, um sich Frust oder eine Verliebtheit von der Seele zu reden. Andere möchten nicht drinnen hocken, nur weil keiner ihrer Freunde Zeit hat und sie nicht gern alleine spazieren gehen.
Kann sich „der Kunde“ die Route aussuchen? Gab es bislang Anreisen, die Sie nicht ermöglichen wollten?
Die Route können sich die Kunden frei aussuchen oder sich auch von mir führen lassen. Ich kenne viele tolle Stellen in und um Leipzig, lerne durch die Spaziergänge immer wieder neue Strecken kennen. Ich hatte aber tatsächlich mal einen Anruf von einem Mann aus Nürnberg, ob wir uns dort zum Joggen treffen können. Da musste ich schmunzeln. Nicht nur, weil ich ausschließlich mit Frauen und Jugendlichen spaziere, sondern auch, weil ich die absolute Anti-Joggerin bin. Als ich dem Herrn am Telefon sagte, dass ich ein paar Stunden von Leipzig bis zu ihm bräuchte, musste er lachen und meinte, er müsse mal mit seiner Kollegin reden, warum sie ihm meine Nummer gegeben hat. Die Antwort hätte mich auch interessiert.
Sie betreiben das jetzt seit Ende letzten Jahres. Welche Erfahrungen konnten Sie bislang sammeln? Welche Einsichten durften Sie mit nach Hause nehmen?
Ich habe die großartige Erfahrung machen dürfen, dass zwei Drittel meiner Spaziergänge darauf basieren, dass sich mein Gegenüber von mir inspiriert fühlt. Viele wollen mehr Mut und Lebensfreude zulassen, wollen endlich ihren Werten entsprechend leben, egal was das Umfeld sagt, oder eben auch ein Business hochziehen, was logisch betrachtet nur auf Gegenwind stoßen kann, weil es beispielsweise frech und unkonventionell ist. Das Schöne ist, die Leute fragen mich nie, wie sie ihr Leben leben sollen – das könnte ich ihnen nicht sagen. Sie fragen mich, wie ich es schaffe, so zu leben, wie ich es tue. Vielen fällt es schwer, ihrer Wahrheit zu folgen, da sie sich von verschiedensten Normen, Klischees, Glaubenssätzen und Grenzen umzingelt fühlen. Sie haben verlernt, ihrer eigenen Stimme zu vertrauen. Doch ich habe dank der „Spaziergeberin“ die Einsicht gewonnen, dass sich „da draußen“ gerade unfassbar viele Menschen auf den Weg machen, auf ihren Herzens-Weg. Es macht mich sehr glücklich, dass ich ein kleines Stück dieses Weges mit ihnen gehen darf.
Um mit einem Fremden einen schönen Spaziergang zu erleben, braucht es sicherlich eine Zeit des Kennenlernens. Haben Sie Routinen entwickelt, die das Eis schneller tauen lassen?
Natürlich ist es merkwürdig, sich mit einer Fremden zu treffen, es hat schon was von einem Blind Date. Wichtig ist, dieses Gefühl auszusprechen, um sich entspannen zu können. Hat man einander erst einmal vor Ort gefunden, taut das Eis schnell. Ich bin ein offener, emphatischer und umgänglicher Mensch, frage direkt nach den Bedürfnissen meines Gegenübers und spüre sofort, wenn er sich unbehaglich fühlt. Dann spreche ich es an. Ehrlichkeit ist von beiden Seiten wichtig, Augenhöhe. Manch einer möchte gar nicht reden, manch einer plaudert einfach drauf los und manche tragen wahre Bürden mit sich. Ich bin für al-les offen, die Chemie hat bisher immer gestimmt.
Kommen manche „Kunden“ mehrere Male? Gibt es bei Ihnen ein Stundenlimit?
Ich habe kein Stundenlimit. Auch die Gutscheine können beliebig gestaltet werden. Die Erfahrung zeigt, dass eine Stunde am liebsten gebucht wird. Selbst von den „Wiederholungstätern“. Deren Highlight ist die elfte Stunde, denn die ist nach zehn Spazierstunden gratis.
Gibt es Tabu-Themen, die Sie auf keinen Fall während eines Spazierganges besprechen wollen?
Nein, jedes Thema darf sein. Ich bin verschwiegen, höre wertfrei zu. Es ist wichtig, über alles reden zu können. Ich finde es schade, dass wir es oft nicht tun, nur weil wir weder uns noch andere triggern wollen. Gesunde Kommunikation beinhaltet auf Augenhöhe alle Bereiche.
Verstehen Sie Ihre Spaziergänge als etwas, was Sie noch ausbauen möchten?
Es gibt durchaus Erweiter- ungspotential – beispielsweise einen Schlittenziehservice, Radfahrbegleitung, Lesungsspaziergänge. Auch Kooperationen mit Joggern und weiteren „Spaziergebern“, die mit Männern spazieren, sind im Gespräch. Doch was mein Herz am meisten küsst, ist der Gedanke, jederzeit für Menschen da sein zu können, die Inspiration für ihren Weg suchen. Und das möchte ich bis zu meinem letzten Atemzug anbieten können. Nicht nur als „Spaziergeberin“.
Text: Max Feller