Das letzte Wort im April hat der Leipziger Schauspieler Sven Reese, der beispielsweise im Theater der Jungen Welt spielt
Hallo, Sven, wenn Sie in diesen Tagen an Leipzig denken, welches Kompliment würden Sie der Stadt und/oder ihren Bewohnern machen?
Es ist der feine, aber wichtige Unterschied zwischen großzügig und großkotzig. Zwischen lächeln und belächeln. Dass man hier schnell ins Gespräch kommt und verbindlich miteinander wird. Dass Reichtum und protzen hier niemanden beeindrucken, sondern das, was du tust. Der kurze Weg vom Ich zum Wir. Schön, dass man mittlerweile ohne Eintritt in die städtischen Museen gehen kann. Die wahren Schätze entdeckt man hier eher hinter den Fassaden, im Rahmen, der das Bild vom Haus und vom Betrachter trennt, in den Bereichen des Übergangs zwischen draußen und drinnen. Passagen-Stadt. Auch der Bewohner ist hier mal Gastgeber und mal Messegast. Dann der Übergang zur postindustriellen Stadt. Wohin geht die Reise?
Und welchen Tadel würden Sie der Stadt aussprechen?
Zu wenige Gemeinschaftsschulen. Die sind wichtig, weil sie die Gesellschaft besser als Ganzes abbilden und alle Kinder einbinden, egal wie gut oder schlecht es den Familien sozial geht und die Eltern (ein-)gebildet sind. Okay, Bildung ist Ländersache. Es fehlt der Schutz für Anwohner vor zu viel Durchgangsverkehr, ich will Kinder wieder auf der Straße spielen sehen. Die Stadt ist zu laaaaut! Mal nachdenken über Lärmschutz mit ganz einfachen Mitteln, wie Tempo 30 in bewohnten Bereichen. Entscheidungen brauchen viel zu lange. Beispiel: Es hat vier Jahre gedauert, bis vor einer Grundschule ein Zebrastreifen aufgemalt werden konnte. Mehr Fortschritt statt Vorschrift! Es braucht mehr Förderung des Breitensports für kleine und große Couchkartoffeln. Vielleicht beansprucht der große rote Bulle ein bisschen zu viel Platz auf der Weide? Zu geringe Förderung für freie Theater. Die sterben jetzt nach und nach alle weg. Und die unverschämt hohen Preise bei den Leipziger Verkehrsbetrieben.
Kriege, Klima, Inflation – überall Krisen. Wie gelingt es Ihnendennoch optimistisch zu bleiben?
Siehe oben! Sich mit anderen zusammentun, sich gegenseitig helfen, die Stadt zu gestalten. Auch wenn‘s nur ganz kleine Schritte sind. Mehr face to face diskutieren und weniger in Social Media.
Darüber hinaus, welchen Kulturtipp in oder aus Leipzig würden Sie unbedingt empfehlen?
Westflügel. Figurentheater Vogel & Wilde. Die Thomaner natürlich – seit 800 Jahren spitze. In der Connewitzer Gaststätte „Waldfrieden“ essen gehen. Mit mir im Kohlrabizirkus Eiskunstlauf üben. Luru-Kino.
So, und jetzt wirklich: Ihr letztes Wort?
Ich lerne gerade, nicht immer das letzte Wort haben zu müssen. Fühlt sich gut an. Auch mal nur zuzuhören.
Text: Max Feller