The Jeremy Days, 2. Oktober, Naumanns Tanzlokal, 20 Uhr
Hymnisch, euphorisch, melancholisch und smart sind die Songs des letztjährigen The-Jeremy Days-Albums „Beauty In Broken“. Es vereint Background-Chöre, britische Gitarren, amerikanische Attitüde und detailverliebte Arrangements. Ein Album, das Gefühle weckt: Es ist, als hätte man endlich eine gutaussehende, perfekt sitzende Jeanshose gefunden. Und doch geht die Band Pandemiebedingt erst jetzt auf Tour. Ein Gespräch mit Sänger Dirk Darmstaedter über Selbstzweifel, das Altern, die USA, über Straßenmusik und das Musik-Business
Es ist noch nicht lange her, da mussten Sie in der Post-Corona-Zeit eine geplante Tour absagen. Wahrlich kein Einzelfall, selbst den ganz Großen ging es so. Aber im Gegensatz zu Anderen haben Sie dieses Scheitern offen und ehrlich über Ihre digitalen Kanäle kommuniziert. Keine Ausreden. Respekt! Spüren Sie den Nackenschlag noch?
Nein, alles in Ordnung. Danke für die Nachfrage.Aber es gibt so viele andere wichtigere Dinge, um die man sich im Moment wirklich Sorgen machen müsste, da kann ich mich nicht lange mit solchen gefühlten Nackenschlägen beschäftigen. Als Songwriter oder Musiker kämpft man sowieso jeden Tag mit dem bekannten Imposter-Syndrom: Was ist mein künstlerisches Selbstverständnis? Wer bin ich? Was kann ich? Wer will das überhaupt? Also, man hat sich schon ein bisschen daran gewöhnt. Ich bin natürlich super gespannt, wie es jetzt weitergeht, was da draußen los ist, wenn wir endlich losfahren.
Ich möchte in Ihre Biografie schauen. Als gebürtiger Hamburger lebten Sie bis zum elften Lebensjahr in den USA: Spüren Sie diese frühkindliche Auslands-Prägung heute noch, auch künstlerisch?
Ich bin immer wieder überrascht oder schockiert, wie viel von dem, was ich beispielsweise im Alter von sieben bis acht Jahren aufgenommen habe – Farben, Gerüche, Sprache oder Musikvorlieben immer wieder auftaucht, also wie prägend diese Zeit wirklich ist und bleibt. So waren die Jahre in den USA immens wichtig und prägend für mein Leben und somit auch für meine Musik. Aber eben auch die Zeit als 15-Jähriger, wo ich mit Jan Breese in Hamburg-Wellingsbüttel im Nieselregen auf Flohmärkten nach alten Ted-Herold-Platten gesucht habe. Alles wichtig, alles prägend. Und nach wie vor relevant.
Die Frage wiederhole ich noch einmal in Bezug auf Ihre Straßenmusiker-Tätigkeit.
Als ich mit elf Jahren die Musik für mich entdeckte, hat sie mir wirklich das Leben gerettet. Doch während Andere erst einmal jahrelang an ihrem Instrument saßen, um alles Mögliche zu lernen, wollte ich immer sofort los, los, los. Und so stand ich dann mit den ersten drei gelernten Akkorden in der Mönckebergstrasse in Hamburg und habe „Hound Dog“ geschrien. Das hat mein Leben nochmal komplett auf den Kopf gestellt und mich in den Orbit geschossen, in dem ich mich seitdem befinde. Von 13 bis 16 Jahren habe ich dann mit einer Nylonseiten-Akustik-Gitarre und mit einem Interrail-Ticket Europa kennen und lieben gelernt. Da bin ich endlich mein verdammtes Heimweh nach einer beschissenen Kleinstadt im Norden von New Jersey losgeworden. Danke, danke, danke!
Ein Blick auf die erste Frage, ein Blick auf die Gegenwart des Musik-Business: Was sehen, wenn Sie die Musikindustrie in einer ruhigen Stunde von außen betrachten?
Möglichst nichts. Darüber habe ich mir – gezwungenermaßen – unter anderem in meiner „Tapete Records“-Zeit genug Gedanken gemacht, saß ständig bei irgendwelchen Podiumsdiskussionen mit Freunden, Musikern und „Brancheninsidern“ rum und lamentierte oder gestikulierte. Damit ist jetzt endlich Schluss. Ich schreibe Songs, versuche jetzt endlich auch den vierten, fünften und sechsten Akkord zu lernen und kümmere mich um meinen Kram, meine Musik. Alles andere ist egal.
Was empfinden Sie heute, wenn Sie auf der Bühne stehen? Vielleicht im Vergleich zu jüngeren Jahren.
Pure Freude und Glück. Früher habe ich mir viel mehr Sorgen und Gedanken gemacht, ob alles klappt, ob eine Seite der Gitarre reißt, der Ton ausfällt, die Leute vorzeitig den Saal verlassen und all die anderen Dinge, die einem durch den Kopf gehen. Heute weiß ich, dass die Fehler, die Pannen, das Ungeplante meist das sind, woran man sich Jahre später erinnert – das Besondere. Ich will das Ungewisse umarmen, die Fehler, die Brüche - „Beauty In Broken“, haha!
Sie sind Jahrgang 1965, da darf man solche Fragen stellen: Was sind die Vorteile eines reiferen Alters?
Ich habe gelernt, mehr - und gerne - „Nein“ zu sagen. Wenn man jung ist, will man alles sein, überall dabei sein, nichts verpassen. Jetzt habe ich überhaupt kein Problem damit etwas zu verpassen, ich liebe es sogar! Tolles Event auf dem Kiez, wo jeder, der was bedeutet, da war? Wichtige Ausstellung, wo es Canapés und Piccolo-Sekt gab? Ich habe im Garten gesessen und Banjo gespielt!
Dann frei heraus: Was ist Glück?
Familie. Musik. Das Jetzt.
Text: Mathias Schulze