Laura Liebeskind und das mondëna quartet, 20. April, Kupfersaal, 20 Uhr, www.lauraliebeskind.de
Krisen, Kriege, Depressionen und ein abgründiger Hedonismus. Die Leipziger Künstlerin Laura Liebeskind knallt uns mit dem neuen wuchtigen Album „Dionysos“ ein gnadenloses Brett namens Realität und Widerstand auf den Tisch. Am 20. April spielt sie ihr Release-Konzert im Kupfersaal. Nichts für schwache Nerven. Eine Album-Rezension von Mathias Schulze
„Das Einzige, womit ich mich beruhige und berapple / Ist, wenn ich eskapistisch / Den Klavierdeckel aufklappe.“ Diese programmatischen Zeilen aus dem Song „Balladen Balladen“ geben die Richtung vor. Im distanzierten Elektropop-Sound vibriert das Blut. Strukturierende Zwänge und erschütterte Eingeweide, der Stil und der Rausch. Apollon, der Gott der sittlichen Reinigung und Mäßigung, trifft auf Dionysos, den Gott des Wahnsinns und der Ekstase. Eine Hassliebe – fähig, die Menschen zu zerreißen. Und zwischendrin die ganz großen Themen: Kriege, Demokratieschwund, Misogynie, sexualisierte Gewalt, Hypersensibilität, Mobbing, Klimakrise. Die Apokalypse ist schon längst im Gange. Aber die Miete will bezahlt werden. Also hilft es, gelegentlich einfach nur wegzuschauen. Funktioniere oder geh unter! Es ist nicht auszuschließen, dass die urwüchsige Wucht und die kühle Form des Albums „Dionysos“, also die thematische Vielfalt und das allzu genaue Ausleuchten persönlicher und gesellschaftlicher Abgründe einige Zuhörer überfordert und abschreckt. Laura Liebeskind bietet mit ihrem neuen Album keine Gefälligkeiten, keinen leichten Frohsinn, keine spielerische Ablenkung, keine glatte beruhigende Oberfläche. Liebeskind knallt uns eine harte Kost um die Ohren, zahlreiche Videos zum Album gibt es obendrauf. Im Pressetext heißt es treffend: „Hier treffen Stranger things Synthis auf Bonnie Tyler und Björkische Experimentierfreude.“ Das Album ist ein engelsgleiches Flüstern, das uns mit dem jederzeit möglichen Moment des Zerbrechens konfrontiert. Ein mit Beats und Vibrationen vollgestopftes Geständnis, dass das eigentlich Schöne des Lebens – die Fähigkeit, Emotionen zuzulassen – immer wieder Gefahr läuft außer Kontrolle zu geraten. Hypersensibilität. „Das Album ist ein engelsgleiches Flüstern, das uns mit dem jederzeit möglichen Moment des Zerbrechens konfrontiert.“
Das Album ist ein Spiel mit der Lust, mit der Geilheit – ein Spiel, das im Moment des Orgasmus an Trennungsschmerz, Ohnmacht und toxische Abhängigkeit denken muss. Eine wilde und zarte Energie und ein Gefängnis aus männlichen Blicken und kulturellen Codes. Der Versuch, das Leben zu genießen, kippt alsbald in westlichen Selbstbetrug: „Fehlt das Wasser / Können wir Champagner saufen.“ Und kaum hat das Rampenlicht die Selbstentfaltung mit goldenen Farben beschienen, schließt sich der Vorhang und eine unendliche Traurigkeit fällt ins Gemüt. Kaufe dir Selbstbestätigung und bezahle mit Einsamkeit! Liebeskind reißt die Wunden, die Widersprüche unserer Verhältnisse, die auch in unserer Seele toben, schonungslos auf. Es gibt hier keine Ruhe, keinen Frieden, keine tröstende Aussicht auf eine eh schon geschundene Natur. Fragt man sich, wie Künstler heute dieser Welt begegnen können, lehnt man das große Versöhnungsbedürfnis der breiten Masse ab, gibt Liebeskind eine eindeutige Antwort: Lass den Dreck der Zeit durch dich durchfließen! Und wenn du es dann noch schaffst, dann zeige die hinterlassenen Narben! Stelle dich allen Rollen und Facetten des Menschseins, spüre wie die vielfältigsten Stimmen deinen Wunsch nach einer kohärenten Identität zerfetzen! Und wenn du es dann noch schaffst, dann predigte das Aushalten aller sich widersprechenden Anteile deiner Persönlichkeit! Gerade deswegen lebt in der Atmosphäre des Albums eine große Geste der (weiblichen) Selbstermächtigung. Im Song „Dionyna“ heißt es: „Komm einmal her / Und sieh genauer hin / Denn in mir drin / Steckt ein Rubin / Und der beginnt zu glühen.“ Zart, labil, verletzlich und kraftvoll durchströmt das Album ein Überlebenswille. Es ist ein Wille, der schon erkannt hat, dass es keine glättende Zuflucht mehr gibt. Es ist ein Wille, der weiß, dass er sich nur dann behaupten kann, wenn alles schonungslos auf den Tisch gelegt ist. Nur wenn das Bewusstsein für den Schmerz zugelassen wird, kann es eine Selbstermächtigung, ein aktives Eintreten ins Leben geben. Laura Liebeskinds Album „Dionysos“ erzählt davon. Diese Wucht muss man aushalten können. Dann entfaltet sie Schönheit.
Text: Mathias Schulze