Fortuna Ehrenfeld, 16. November, Kalif Storch in Erfurt und 17. November, beatpol in Dresden, jeweils 20 Uhr, Tickets: www.mawi-concert.de, www.jennythiele.com
„Lana del Rey kann sich warm anziehen, denn das, was sie kann, kann Jenny schon lange.“ So schön formulierte es Manuel Unger vom WDR. Gemeint ist die Kölnerin Jenny Thiele und ihr neues Album „Killing Time“. Thiele, Jahrgang 1987, ist in Dresden geboren und noch Teil der wunderbaren Indie-Band Fortuna Ehrenfeld, die gerade das Live-Album „Das letzte Kommando“ herausgebracht haben. Warum Thiele alsbald auf Solo-Pfaden unterwegs sein wird, verrät sie im FRIZZ-Interview
Sie verlassen nach der Herbsttour eine Band, die gerade so richtig Fuß in Gesamtdeutschland fasst. Ist das ein Abschied für immer?
Vorerst ist es ein Abschied. Aber ich sage nicht, dass ich nie wiederkomme, wir gehen in absoluter Freundschaft auseinander. Ich verlasse die Band mit einem weinenden Auge, aber ich möchte meinen Songs eine Chance geben. Ich will jetzt meine Musik spielen, meine Geschichten erzählen, meine Songs singen.
Unsere Plattenteller-Seite im Oktober sprach über „Killing Time“ so: „Das Album zeigt, wie großartig Pop sein kann. Alles ist so zart, verspielt und unprätentiös, dass man vor Schockverliebtheit nicht gefeit sein kann. Volle Punktzahl!“.
Das freut mich natürlich sehr.
Ihre Eltern sind Anfang 1988 erst nach Ostberlin und dann 1991 nach Mönchengladbach gezogen. Als sie „im Westen“ ankamen, waren Sie vier Jahre alt. Können Sie sich daran erinnern, wie die Eltern die damalige neue Welt in Westdeutschland erlebt haben?
Erinnern nicht mehr unbedingt, es sind Erzählungen, die sich weitergetragen haben. Da meine Eltern damals Anfang und Mitte 20 waren, zwei kleine Kinder hatten, haben sie viel mit ihrem unmittelbaren Leben und Arbeiten zu tun gehabt. Klar, sie haben den politischen Umbruch hautnah erlebt, aber er hat, auch weil sie noch so jung und frisch in der Birne waren, keine so gravierende Rolle gespielt wie man vielleicht glauben mag. Sie standen der neuen Welt offen gegenüber, haben natürlich auch mit Vorurteilen zu kämpfen gehabt, aber sich insgesamt einfach gut durchgeboxt.
Sie wurden in den alten Bundesländern sozialisiert. Was sehen Sie, wenn Sie heute im Osten sind?
Allein schon aufgrund der Tatsache, dass ich als Kind viel bei meinen Großeltern in Brandenburg war, habe ich schon noch einen großen Anteil „Osten“ in mir. Ich staune ja immer wieder, dass das Land, in dem ich geboren wurde, heute nicht mehr existiert. Aber ich fühle das – eine Verbundenheit ist da da. Ein Fun-Fact am Rande: In unserem Fortuna- Shop verkaufen wir Schlafanzüge, die in Hohenstein-Ernstthal, zwischen Zwickau und Chemnitz, hergestellt werden.
Liege ich richtig in der Annahme, dass Fortuna Ehrenfeld im Kölner Raum mittlerweile eine Kultband ist, die bedauernswerterweise, in Gesamtdeutschland noch viel zu unbekannt ist?
Obwohl wir seit fünfeinhalb Jahren durch die Republik fahren, gelten wir manchmal immer noch als Geheimtipp. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass wir vor 13 Leuten spielen. Und in Köln füllen wir das „Gloria“ mit 1.000 Gästen. Es braucht Zeit, sich zu etablieren. Promo und Label-Arbeit machen wir ja seit Pandemiebeginn auch selbst. Entscheidend ist, dass wir immer 120 Prozent spielen. Wenn nur eine Person unsere Musik weiterträgt, dann lohnt es sich.
Wie sind Sie eigentlich zur Kunst gekommen? Was hat Sie daran festhalten lassen?
Mein Vater, Steffen „Horni“ Thiele heißt er, spielte beispielsweise in einer Punkband aus der DDR, die den schönen Namen „Die Potentiellen Steaks“ trug. Er hat mit uns viel gesungen. Die Musik war bei uns ständig präsent. Für mich gab es keinen anderen Weg.
Wie war das Tourleben mit Fortuna Ehrenfeld die letzten fünfeinhalb Jahre: Ein Rausch oder eher anstrengend?
Beides. Immer, wenn ich nach Hause gekommen bin, war ich ausgebrannt, aber glücklich. Ich fühlte mich immer so nah dran am Leben. Wir wurden in Situationen rein geschmissen, mit denen man spontan klarkommen muss. Sei es ein Schneesturm auf der Autobahn oder auch der Umstand, jeden Tag neuen Menschen zu begegnen. Es war wie mit einer Familie auf Dauerurlaub. Im Tour-Bus ist es eng, man bekommt jede Nuance des Anderen mit. Und jeden Abend zu spielen, ist eine Erfahrung, die dir kein Studium ersetzen kann. Es ist fantastisch, so viele Konzerte spielen zu können und immer besser aufeinander eingespielt zu sein!
Was ist das für ein Land, dass Sie auf Deutschland-Tour gesehen haben?
Ich habe nur einen kleinen Ausschnitt gesehen. Fortuna zieht ein offenes Publikum an, von Kindern bis zur Generation über 60 sind da alle dabei. Da wir nicht im Mainstream unterwegs sind, habe ich viele Leute getroffen, die Bock haben, etwas Indie-mäßig zu gestalten. Das geht vom Catering, über die Veranstalter bis hin zu den Unterkünften. Obwohl Touren unser Beruf ist, fühlt sich das bei uns im Indie-Bereich nicht so nach Abarbeiten an. Je kleiner die Stadt, desto engagierter sind die Leute, desto dankbarer sind sie, wenn man kommt. In größeren Städten ist oft mehr Durchlauf.
Wie sehen die Ziele für nächsten vier, fünf Jahre aus?
Ich habe mir keine Ziele gesteckt, ich will Luft reinnlassen, die letzten Jahre waren voller Termine. Ich spiele zwar nach der Fortuna-Tour eine Solo-Tour, aber ich bin froh, dass gerade nicht mehr alles so vollgestopft ist. Am Musikmarkt ändert sich gerade sehr viel, auch durch die Pandemie, aber nicht nur deswegen. Das Stichwort heißt Digitalisierung. Alles ist im Wandel, ich will einfach mal schauen, was die nächsten Jahre so geht. Beispielsweise habe ich gerade Kontakt zu zwei Unternehmen, die an einer biologisch abbaubaren Schallplatte arbeiten. Auch im Musikbusiness ist das Thema Nachhaltigkeit super wichtig. Mal sehen!
Text: Mathias Schulze