Die Liedertour, alle Konzerte unter facebook.com/liedertour
Die Liedertour ist eine Leipziger Institution. Die unabhängige Kulturinitiative bildet ein gewaltiges Netzwerk für Musiker und Musikerinnen. Wir haben Mastermind Frank Oberhof zum Gespräch gebeten
Fangen wir für alle, die Sie noch nicht kennen, von vorn an: Was ist die Liedertour, seit wann gibt es sie und was haben Sie damit zu tun?
Die Liedertour ist eine nicht-kommerzielle unabhängige Kulturinitiative und ein Netzwerk von Musikern und Musikerinnen – und von deren Unterstützern und Unterstützerinnen. Seit 1991 realisieren wir gemeinsame musikalische Projekte – seit 2003 als Kulturverein.
Warum machen Sie das? Woher kommt die Kraft und Motivation? Machen Sie das Ganze immer noch alleine?
Leidenschaft und Idealismus für Musik mit den damit einhergehenden Begegnungen und Erlebnissen ist als Antwort wohl am zutreffendsten. Interesse an musikalischen Ausdrucksformen und individuellen künstlerischen Handschriften, die von unterschiedlichen Biographien, Erfahrungen, Ansichten und Erwartungen geprägt sind. Und eine Idee, was unter welchen Bedingungen mit Motivation, Engagement und Ausdauer unserer Veranstaltungspartner vor Ort und der entsprechenden Resonanz des Publikums möglich sein könnte. Vor allem geht es aber darum, eine gute gemeinsame Zeit zu haben – Interpreten, Veranstalter und Publikum. Ohne die Unterstützung und das Mitwirken aller Beteiligten über die vielen Jahre, wäre Die Liedertour mit den vielfältigen Veranstaltungsformaten nicht denkbar.
Wo spielen Sie selbst überall mit?
Von Beginn an war immer eine Band oder ein musikalisches Projekt die künstlerische Basis der Liedertour. Seit nunmehr zehn Jahren ist Ralph Schüller nicht nur das musikalische Rückgrat der Tour, sondern in vielerlei Hinsicht ein Glücksfall. So bin ich bei den unterschiedlichen Schüller-Besetzungen genauso dabei wie beim Liedertour-Projekt „Albrecht-Haushofer-Hommage“ oder im Kinderprogramm „Hein, das Schwein“ von und mit Wolfram Fricke und Freunden. Und ab und zu bin ich auch Gast bei Liedertour-Konstellationen.
Wie eigentlich funktioniert die Liedertour?
Die Idee war und ist, unterschiedliche Musiker und Musikerinnen, die über das Jahr ihre eigenen Projekte verfolgen, für gemeinsame Konzerte und kleine Festivals zusammen zu bringen. Außerdem versuchen wir räumliche und logistische Möglichkeiten für Veranstaltungsreihen oder Tourneen zu bündeln und nicht-etablierte Orte für regelmäßige Kulturangebote zu entdecken und zu unterstützen. Dabei ist die Liedertour in der Regel nicht Veranstalter, sondern Initiator, Motivator, Vermittler, Organisator und Partner, aber eben keine Agentur. Die Vergütung der Mitwirkenden ergibt sich aus der jeweiligen Einnahmesituation und den unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten unserer Veranstaltungspartner. Darüber hinaus bleibt alles Ehrenamt ohne Förderung.
Gab es in all den Jahren auch mal Rückschläge?
Manches hat seine Zeit. Kooperationen haben sich aus den jeweiligen Umständen ergeben. Solange alle Beteiligten künstlerisch, menschlich oder auf andere Weise profitieren, ist es auch gut für das Projekt. Das über die Jahre entstandene Liedertour-Netzwerk hat dafür gesorgt, dass personelle Veränderungen immer auch neue Möglichkeiten, Entwicklung und Profilierung bedeuten. Mittlerweile haben wir unser musikalisches Profil zwischen Lied und Poesie: Chanson, Singer/Songwriter-Stil, auch mal Literatur mit Musikbezug, Folk, Jazz und Blues in kleinen und größeren Besetzungen mit Newcomern und Etablierten. Das Ganze ist meist akustisch und jenseits von Mainstream und Belanglosigkeit. Letztendlich ist die Liedertour das, was die Mitwirkenden mit ihren Talenten, Fähigkeiten und Interesse an gemeinsamer Musik daraus machen. Wir können uns vorher viel überlegen – auf der Bühne entscheiden die Künstler und Künstlerinnen, auf welche Weise sie miteinander umgehen.
An welche Erlebnisse, Konzerte, Erfahrungen denken Sie, wenn Sie am Abend mal in Ruhe Ihr Schaffen Revue passieren lassen?
Ein Abend mal in Ruhe – da schlafe ich leider meist sofort ein. Nach über drei Jahrzehnten ist es nicht einfach, einzelne Projekte herauszuheben. Dafür waren zu viele individuell verschiedene Musiker und Musikerinnen beteiligt und die jeweiligen Zeiten und Umstände auch zu unterschiedlich. Oft sind es die kleinen Situationen, Momente, Begegnungen oder spontane Begebenheiten, die überraschen, berühren und in Erinnerung bleiben – auf und neben der Bühne.
Haben Sie Leipzig und die Region durch die Liedertour mit neuen Augen sehen können?
Nach den zurückliegenden Corona-Jahren und den einhergehenden gesellschaftlichen Entwicklungen: Kultur ist systemrelevant! In der Stadt und der ostdeutschen Provinz. Das hat für mich aber weder in der DDR noch in der BRD bedeutet, mich auf das jeweilige politische System zu verlassen. Ich habe trotz allem immer versucht, Chancen und Möglichkeiten zu sehen. Der Musik immer nebenberuflich nachgegangen zu sein, sorgte und sorgt für eine gewisse Unabhängigkeit, auch wenn der zeitliche Aufwand in einem schwer nachvollziehbaren Verhältnis steht. Aber so ist es eben mit der Leidenschaft …
Welche Ziele und Pläne gibt es?
Bereits in diesem Jahr sind zwei Konzertstationen bei der monatlichen Liedertour durch Mitteldeutschland hinzugekommen, 2024 folgen zwei weitere. Außerdem wollen wir unsere Jahresendrevue, die im vergangenen Jahr im Neuen Schauspiel Leipzig ausverkaufte Premiere feierte, etablieren. Und vielleicht gelingt es mir nach meinem 60. Geburtstag im kommenden Jahr, Prioritäten doch noch einmal neu zu definieren.
Text: Mathias Schulze