„Sachsen ist mehr!“, 20. April, Kupfersaal, 19 Uhr; ab 18 Uhr kann die Fotoausstellung zum Film im Foyer betrachtet werden, www.kupfersaal.de, www.jessyjameslafleur.com
Die Spoken-Word-Künstlerin Jessy James LaFleur legt den Dokumentarfilm „Sachsen ist mehr!“ vor, der am 20. April im Kupfersaal seine Premiere feiern wird. Grund genug, bei LaFleur nachzufragen
Hallo Jessy James LaFleur, können Sie sich bitte kurz vorstellen?
Ich bin gebürtige Ostbelgierin, Nomadin aus Überzeugung und bewandere als Spoken-Word-Künstlerin, Moderatorin, Workshopleiterin und Rapperin die unzähligen Pfade dieser Welt seit meinem 16. Lebensjahr. Ich habe mit meinen Spoken-Word-Performances ungezählte Bühnen in über 30 Ländern bereist und gründete 2015 die europaweiten Literaturinitiative „Angeprangert! SpokenWord”, um starke Stimmen auszubilden und ans Mikro zu holen.
Und während der Pandemie …
… ließ ich mich mit diesem Projekt in der Oberlausitz nieder, um junge PoetInnen im ländlichen Raum besonders zu fördern. In Löbau arbeite ich derzeit an der Verwirklichung einer „Spoken Word Akademie“. Und ich moderiere und organisiere verschiedenste Literaturveranstaltungen in Belgien, Luxemburg und Deutschland. In diesem Jahr realisierte ich meinen ersten Dokumentarfilm mit dem Titel „Sachsen ist mehr!”. Genau deswegen sprechen wir ja.
Richtig. Die Motivation für Ihren Film ist eine besondere.
Als ich vor wenigen Jahren in die Oberlausitz kam, nannten das einige KollegInnen in meinem Umfeld einen „Karriereknick”. Wenn Menschen in Großstädte oder ins Ausland gehen, werden sie meist dafür gefeiert und bewundert, ich musste mich aber erst einmal an grenzwertige Anmoderationen durch Veranstalterinnen im „Westen“ und Ossi-Klischee- Witze gewöhnen.
Aber, Sie …
Richtig, obwohl ich ja nicht mal von hier bin! Ich lernte kurz nach meiner Ankunft meinen heutigen Verlobten Maik Kutschke kennen, der aus einer „schmelzenden Stadt“ namens Weißwasser kommt. „Schmelzende Städte“ nennt man in der Lausitz Orte, deren Stadtbevölkerungen unaufhaltsam kleiner werden, weil Menschen vor Chancen- und Perspektivlosigkeit flüchten. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes vom Aussterben bedroht. Das hat vor allem mit den Nachwehen der Wende und dem bevorstehenden Kohleausstieg zu tun. Maik hat sich bewusst gegen das Verlassen seiner Heimatregion entschieden, um Perspektiven für nachfolgende Generationen schaffen zu können, was eine unfassbar schwere Aufgabe ist.
Warum?
Für kulturelles Engagement gibt es nur selten Wertschätzung und Komplimente, man trifft viel eher auf Ablehnung. Genau deswegen ist es umso bewundernswerter, dass sich so viele Menschen für das Bleiben und gegen das Gehen entscheiden, um etwas bewegen zu können – auch auf kommunalpolitischer Ebene.
Vergessen wir den Film nicht!
Was stetiges Ankämpfen und Stereotypen auch psychisch mit Menschen machen kann, wurde mir bewusst, als mein Verlobter und ich durch Zufall den Beitrag „Sachsen ist rechts!” von Jan Böhmermann anschauten. Auf einmal waren da ganz viel Wut, Verzweiflung und Enttäuschung im Raum.
Warum?
Was wir ganz oft vergessen, wenn wir über das „Rechtsextremismus- Problem“ in bestimmten Regionen, Bundesländern oder „im Osten“ sprechen, ist, dass es vor Ort Menschen gibt, die sich engagieren, fernab der Massen, und aufgrund ihrer Arbeit häufig Gewalt und Anfeindungen ausgesetzt sind. Diese Menschen, Organisationen und Initiativen dürfen aber nicht unsichtbar werden, was jedoch passiert, wenn immer die selben düsteren Bilder aus Sachsen und „dem Osten“ gezeigt werden. Die Reaktion meines Verlobten war ausschlaggebend für meinen Text und später für den Film.
Ihr Text?
Nach dem Beitrag von Jan Böhmermann führten mein Verlobter und ich ein längeres Gespräch. Im Anschluss packte ich nicht nur seine, sondern auch meine eigene Wut und Frustration in einen Spoken- Word-Text, nahm ihn mit dem Handy auf und stellte ihn dann auf meinen Instagram-Account.
Oha!
Ich ging schlafen und fand am nächsten Morgen so viele Kommentare und Nachrichten vor, dass ich gar nicht wusste, bei wem oder wo ich anfangen sollte. Natürlich waren da viele hochkritische Bemerkungen dabei, aber nichts davon war beleidigend. Allem voran gab es sehr, sehr viel Zuspruch. Ich bekam Zuschriften von Jugendclubs, Kulturschaffenden, PolitikerInnen, Frauen- und Mädchenprojekten, die einfach nur „Danke“ sagen wollten für den Zuspruch und die Wertschätzung.
Jan Böhmermann …
… meldete sich nicht, egal, wie oft man ihn verlinkte oder wie viele Mails wir schrieben. Nicht dass ich damit gerechnet hätte, aber ich wollte meinen Text nicht einfach so als „leere Worte” auf Social Media stehen lassen, und schrieb in der selben Nacht, 30 Minuten vor Deadline, einen einzigen Förderantrag mit dem Konzept für den Film.
Jetzt sind wir beim Film, schön.
Der Förderantrag war erfolgreich und auf einmal wurde meine Idee gefördert durch den „Fonds Soziokultur e. V.“ im Rahmen von „Neustart Kultur“ und durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Da wusste ich: Jetzt erst recht!
Und jetzt schicken Sie den Film zum ZDF, zum „Magazin Royale“, zu Jan Böhmermann?
Wir veranstalten sechs symbolische Premieren, um alle „Ecken“ Sachsens abzudecken. Es sollte nicht den einen Ort für „die Premiere“ geben, aber in Leipzig haben wir die große Ehre, unseren Film in einem der schönsten Kulturhäuser der Stadt zeigen zu dürfen. Da haben wir natürlich auch Jan Böhmermann eingeladen, das haben alle anderen Locations übrigens auch. Eine Zu- oder Absage gibt es immer noch nicht, dementsprechend muss dieser Film auch nicht mehr verschickt werden – es gibt einfach kein Interesse, das respektieren wir.
Ja, respektieren wir das.
Jan Böhmermann war vielleicht der Auslöser, aber das Projekt haben die vielen tollen ProtagonistInnen möglich gemacht, deren Statements unfassbar ehrlich, kritisch, emotional, reflektiert und aufrüttelnd sind. Es gibt im Rahmen aller Vorführungen eine Podiumsdiskussion mit der Filmcrew und den Kulturschaffenden aus dem Film – vielleicht sitzt Jan Böhmermann am Ende ja doch noch mit auf der Bühne.
Was haben Sie während der Dreharbeiten über die Kulturarbeit in Sachsen gelernt? Wen haben Sie alles besucht?
Ich kam während der Pandemie nach Sachsen, als die Netzwerkarbeit und Veranstaltungen am Boden lagen. Deswegen war der Pool an Kulturschaffenden eher klein, beziehungsweise sehr auf die Oberlausitz konzentriert. Mir war es wichtig, so viele Regionen wie möglich im Film abzubilden, da es eben nicht „das eine Sachsen“ und „den sächsischen Akzent“ gibt.
Wie begründet sich die Auswahl Ihrer Gesprächspartner?
Schon vorher hatte ich mit VeranstalterInnen und soziokulturellen Zentren in Sachsen zusammengearbeitet und kontaktierte deswegen zunächst die Personen, die mich und meine Arbeit bereits kannten. Außerdem wollte ich die unterschiedlichen Herausforderungen für Kulturschaffende in den verschiedenen Regionen zeigen, denn eine Oberlausitz hat andere Probleme als ein Erzgebirge oder Leipzig. Um den Film eben nicht nur durch meinen „Blick von außen“ zu realisieren, habe ich mir von Beginn an die Unterstützung meines Verlobten Maik und die des Chemnitzer Filmemachers Franz Lermer an die Seite geholt. Der Trägerverein für mein Projekt ist zudem „Löbaulebt e. V.” aus Löbau. Ich mag vielleicht keine Sächsin sein, aber mein ganzes Team kommt gebürtig aus Sachsen, und wir haben alle etwas gemeinsam: Wir wollten mit dieser Doku andere Blickwinkel zeigen. Ganz wichtig: Es war nie meine Motivation, eine politische Doku zu drehen oder „Schönmalerei“ zu betreiben.
Stattdessen?
Ich wollte ein paar Kulturheldinnen in den Mittelpunkt stellen, ihre Arbeit für sich sprechen lassen, ohne diese immer automatisch mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus in Verbindung zu bringen – das tun nämlich die meisten Fernsehteams, die sich nach Sachsen verirren. Dass Kulturarbeit im Osten aufgrund der politischen Lage ein immenser Kraftakt sein kann, ist klar, diese Stimmung ist allgegenwärtig, aber nicht ausschließlich der Grund, warum Menschen kulturelle Arbeit leisten wollen.
Welche Wünsche kamen zutage?
Viele haben einfach nur Bock etwas mitzugestalten, weil es in Sachsen abseits der Großstädte noch richtig viel Freiraum gibt, eine gute Förderlandschaft, günstige Wohn- und Atelierräume und viele Gleichgesinnte. Ich wurde auch gefragt, ob ich mich nicht schuldig fühle, positive Bilder aus Sachsen zu zeigen. Aber dann denke ich mir, dass wir jeden einzelnen Menschen, der dieses Bundesland durch sein kulturelles Dasein etwas bunter malt, brauchen. Kultur und Kunst sind unterschätzte Waffen im Kampf gegen Extremismus, Klimawandel und Abwanderung! Deswegen habe ich bei der Auswahl der ProtagonistInnen darauf geachtet, dass Zugezogene, Rückkehrerinnen, Nie-Gegangene, vor der Wende Geborene und nach der Wende Geborene zu Wort kamen.
Sie haben lockere Gespräche geführt.
Ich wollte als Zuhörerin präsent sein und nicht als Journalistin. Wenn die Statements der einzelnen Person teils hochpolitisch sind, dann hat das mit der Motivation der individuellen Person zu tun, und genau das macht den Film so spannend. Eins haben alle Kulturschaffenden trotz regionaler Unterschiede gemeinsam: Sie wünschen sich Sichtbarkeit und mehr Unterstützung, nicht allein durch den Staat, sondern vor allem durch die Zivilgesellschaft!
Ihr Film ist auch ein Statement gegen Ost-West-Kategorien. Was stört sie besonders?
Das ganze Ost-West-Denken stört mich! Ein Beispiel: Wenn ich sage, dass ich in der Oberlausitz aktiv bin, werde ich meist mit Mitleid überschüttet. Als ich eine Anfrage durch ein TV-Team bekam, wollten mich dieses explizit vor leerstehenden Gebäuden in Görlitz filmen, dabei ist Görlitz eine architektonisch ein echtes Juwel. Es kam mir vor, als ob man an Stereotypen vehement festhalten wollen würde, was ich befremdlich fand. Das gilt auch für Beiträge über Bautzen, Ostritz oder Chemnitz.
Nun sind Leerstand, Rechtsextremismus, Abwanderung und festgefahrene Ideologien …
… ein explizites Problem, ja! Aber sie gehen auch einher mit einer Wende, die rückwirkend kritisch hinterfragt werden muss. Der Westen hat gravierende Fehler gemacht, die auch heute noch spürbar sind. Genau diese Diskussionsebene fehlt mir, wenn über „den Ossi“ oder „den AfD-Wählenden“ gesprochen wird. Wir brauchen nicht nur Ausrufezeichen, wir brauchen mehr Kommas.
Mehr Kommas?
Es ist wichtig, dass nicht nur Akademikerinnen oder Aktivistinnen aus Großstädten zur „Ost- West-Problematik“ in den Talkshows sitzen, sondern auch Jugendliche, die nicht in ihrem Heimatdorf auf eine Schulen, gehen können, sondern ein Internat besuchen müssen, weil Bus- und Bahnverbindungen Anfang der 90er verschwunden sind. Ein anderes Beispiel: Wir müssen die Menschen zum Gespräch einladen, die wegen der Kohle Grund und Boden verloren haben, die ein Leben lang in diesen Gruben gearbeitet haben und jetzt eine tiefe Zukunftsangst verspüren. Wir müssen den Menschen zuhören, anerkennen, dass es nicht „den Osten“ mit „seinen“ Problemen gibt! Die Problematik ist eine gesamtdeutsche Herausforderung und Aufgabe, das muss auch die Politik verstehen und anerkennen, dass eine Region nicht allein durch Millionenbeträge und Investoren „gerettet“ werden kann. Vor allem müssen wir jene unterstützen, die schon da sind und direkt vor Ort nach Lösungen suchen. Im „Osten“ gibt es eben nicht nur Probleme, sondern auch (unabhängig von Berlin) tolle Menschen, kluge Köpfe, großartige Initiativen, Forschungsansätze, Hochschulen, Künstlerinnen, Kulturschaffende und viel Engagement. Genau die müssen wir zeigen. Und das tut der Film.
Text: Mathias Schulze