Bettina, alle Vorstellungen in Leipzig können unter salzgeber.de/bettina angesehen werden
Vom Mut und von der Einsamkeit einer starken Frau. Der sehenswerter Dokumentarfilm „Bettina“ zeigt das Leben der Liedermacherin Bettina Wegner
Feiernde Jugendliche, die Augen geschlossen, im Park läuft offensichtlich elektronische Musik, die Hitze des Sommers glänzt auf den tanzenden Körpern. Der Regisseur Lutz Pehnert wählt für seinen Dokumentarfilm über Bettina Wegner einen ungewöhnlichen Einstieg. Zeitgleich wird die Musik der Liedermacherin über die Bilder gelegt, da hört man den expressiven, kantigen und melancholischen Gesang, das Gitarrenspiel ist klar und einsam. Die Welten, die sich öffnen, können auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein. Hier die Bilder aus der Gegenwart, dort die handgemachte Musik und die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Und doch finden die Welten zueinander. Wegner, Jahrgang 1947, singt das Volkslied „Wenn ich ein Vöglein wär“, und plötzlich sehen die zuckenden Bewegungen der Jugendlichen nicht mehr selbst-vergessen ekstatisch, sondern suchend und verletzlich aus, plötzlich erkennt man in ihnen jene ewige Sehnsucht, die zu allen Zeiten ihren Ausdruck sucht. Aus dem ungewöhnlichen ist ein großartiger Filmeinstieg geworden. Die anschließenden 107 Minuten bleiben auf diesem Niveau. Da sieht man alte Kinderfotos, zurück geht es ins Berlin der 50er Jahre. Wegner erzählt in ihrer schnoddrigen Art von der Nachkriegszeit, von der deutsch-deutschen Teilung, von der DDR-Kulturpolitik, von Idealen und Irrtümern. Freimütig plaudert sie über ihr Privatleben, über ihre Leidenschaften: Thomas Brasch, Klaus Schlesinger und Oskar Lafontaine. Welche Überwindung das gekostet hat, verraten die vielen Zigaretten, die Wegner dabei raucht. Der Film berichtet über ihren Flug-blätter-Protest gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakische Republik, wegen „staatsfeindlicher Hetze“ wurde sie 1968 verurteilt. Die bizarre Gerichtsverhandlung kann man im Original hören. Erzählt wird von den Repressalien der SED, von Wegners Unwillen ihre Heimat zu verlassen. Als sie die DDR 1983, unter Androhung erneuter Haft, doch verlässt, beginnt eine Heimatlosigkeit, die Wegner noch heute spürt. Das sehenswerte Porträt erzählt vom Mut und von der Einsamkeit einer starken Frau, Zeitgeschichte inklusive.
Text: Mathias Schulze