Ein Mann seiner Klasse, 5., 6. und 7. März, Werk 2, jeweils 20 Uhr, www.dasuez.blogspot.com
Die freie Leipziger Theatergruppe Das Üz hat den Roman „Ein Mann seiner Klasse“ von Christian Baron zu einem Bühnenstück modelliert. Jennifer Demmel und Armin Zarbock spielen die Bühnenfassung, die Christian Hanisch und Johann Christoph Awe erarbeitet haben. Thematisch geht es um Armut, Gewalt und den inkorporierten Habitus der Herkunft, der einen ein Leben lang begleitet. Grund genug, bei Regisseur Christian Hanisch nachzufragen
Arbeiterkinder, die im Gegensatz zu Kindern aus einem bürgerlichem Elternhaus auf Universitäten und im möglicherweise darauf aufbauenden Job einen Habitus mit sich tragen, der eine unsichtbare Mauer darstellt. Kennen Sie das Phänomen?
Viele Elemente aus „Ein Mann seiner Klasse“ kenne ich. Mich hat diese Innenansicht aufs Aufwachsen in Armut sehr beschäftigt. Im autobiographischen Roman spielt existenzielle Armut, also echter Hunger in unserer Gesellschaft, eine große Rolle, weil der Vater zu stolz war, aufs Arbeitsamt zu gehen. Es gibt eine Szene im Buch, in der die Tante beim Jugendamt ist. Dort geht man gar nicht davon aus, dass jemand wie Christian, der aus armem Hause kommt, aufs Gymnasium gehen kann. Dabei meint der Jugendamtsleiter das gar nicht böse, es ist nur so, dass so ein Aufstieg, also der Gang aufs Gymnasium, im System für so einen Familienangehörigen gar nicht vorgesehen ist. Der Jugendamtsleiter reproduziert einfach nur das „normale“ Denken, wonach der klassische Ablauf namens „Gymnasium, toller Job“ nur Bürgerlichen vorbehalten ist. Und die anderen Menschen können das doch nicht. Dabei hat Armut ja nichts mit der individuellen Intelligenz zu tun. Nur ist es scheinbar eine Normalität im System, dass arme Menschen nicht aufs Gymnasium gehen oder einen Aufstieg wagen sollten.
Sie kennen viele Elemente aus dem Roman?
Ich bin zur Wendezeit in einem Neubaugebiet in Erfurt aufgewachsen. Anders als bei Christian in Kaiserslautern kenne ich zwar keine krasse Armut, aber ich habe natürlich die Abstürze nach der Wende mitbekommen.
Sie arbeiten seit Jahren in der Kulturszene Leipzigs. Spüren Sie da als Kind aus dem Erfurter Neubaugebiet auch jene „unsichtbaren Mauern“?
Ich habe anfangs in Leipzig ein geisteswissenschaftliches Magisterstudium durchlaufen. Klar, gab es da Berührungsängste, habe ich so manche Spielregel der bürgerlichen „Bildungskinder“ nicht kapiert. Oder mir solche Fragen gestellt, wieso manche Studenten so leichtfüßig herumlaufen können. Aber durch meinen Vater hatte ich einen gewissen kulturellen Background, der mir geholfen hat. Anbei: Im Roman gibt es so wunderbare Stellen. Das Arbeiterkind greift in der Kantine zur Pommes, während die Bürgerlichen fragen, ob er auch Salat nehmen möchte. Oder nehmen wir den Zugang und die Vorlieben für eine bestimmte Musik.
Der kulturelle Background Ihres Vaters hat Ihnen geholfen, sich nach dem Studium im kulturellen Feld Leipzigs zu bewegen?
Auf jeden Fall. Als ich 2000 begann, mich in Leipzig mit dem Theatermachen auszuprobieren, war es aber eine spezielle Zeit. Damals war Leipzig noch Armutshauptstadt, der kulturelle Bereich war noch ungeregelter, offen für Quereinsteiger wie mich. Man konnte viel ausprobieren, es ging gar nicht ums Geld. Leipzig hat mir sozusagen eine Experimentierphase in einer gewissen Zeitspanne gestattet, bis man kapiert hat, dass man damit auch Geld verdienen muss. Ich traf auch auf Menschen mit ähnlichen Hintergründen. Und manches war auch einfach Zufall. Ich habe 2006 den Bewegungskunstpreis gewonnen, da habe ich mir gedacht, dass meine Regie-Arbeit vielleicht gar nicht so schlecht ist. Von dieser Offenheit zehrt Leipzig noch immer, aber nicht mehr so wie damals. Es gibt noch viele junge Leute, die sich hier ausprobieren können, aber die Strukturen sind fester – und das meine ich gar nicht negativ, weil wir jetzt in Leipzig eine stabilere Förderung, ein stabiles Bewusstsein dafür, wie wichtig die Szene ist, haben. Für diese Strukturen kämpfen wir jetzt gerade wieder regelmäßig, denn auch in Sachsen und Leipzig könnte es wieder zu Kürzungen in der Kultur kommen. Ich möchte aber noch etwas zu diesen „unsichtbaren Mauern“ sagen.
Bitte!
Ich glaube, noch ist unsere Gesellschaft durchlässig, noch können Arbeiterkinder aufsteigen, aber es wird immer schwieriger. Umso weniger man an kulturellem und auch an realem Kapital hat, umso höher werden die Mauern. Bei Christian Baron, der ja später beispielsweise für „Der Freitag“ geschrieben hat, ist es auch kein neoliberales Märchen gewesen, dass er sich durch eigene Anstrengung „hochgearbeitet“ hat, sondern es war Zufall und Glück. Klar, Talent ist immer wichtig, aber ohne Zufall und Glück ist es für Arbeiterkinder immer noch sehr schwer, aufzusteigen.
Wie kann man sich die Ästhetik Ihres Stückes vorstellen?
Sehr minimalistisch. Wie immer bei mir. Das Besondere ist, dass das Publikum um die Bühne drumherum sitzt. Die Spielenden kommen nicht raus, das Publikum ist die Mauer. Also, die Gesellschaft guckt drauf und durchleuchtet das Milieu der Armen gnadenlos, die Spielenden können nirgends hingehen, können nicht für sich sein, sie werden immer ins Licht gezerrt. Und die Gewaltszenen spielen wir nicht nach, wir wollen da keine Klischees bedienen, wir wechseln oft in den Erzählmodus wie es im Roman ja auch ist.
Wie sieht das bisherige Feedback aus?
Mir wird von einer starken emotionalen Wirkung berichtet. Es trifft, weil es auch so eine private Geschichte ist, weil es noch einmal gnadenlos zeigt, wie zufällig oft so ein Aufstieg ist. Das vollständige Interview ist unter facebook.com/FrizzLeipzig einsehbar.
Text: Mathias Schulze