Reise ins Ungewisse. Einblicke in die Welt des Surrealismus, bis 13. April, Kunsthalle „Talstrasse“, www.kunstverein-talstrasse.de
Vor gut 100 Jahren veröffentlichte André Breton sein surrealistisches Manifest. Die Kunsthalle „Talstrasse“ bietet mit seiner aktuellen und sehenswerten Schau die Möglichkeit, sich mit dem Phänomen des Surrealismus zu beschäftigen
Es gibt Ausstellungen, die berühren direkt das Herz. Und es gibt Ausstellungen, deren Reiz man sich erarbeiten muss. War eben noch in der „Talstrasse“ die Schau „Sehnsucht Romantik“, deren Werke mit einer fühlbaren Harmonie, mit einer ins Göttliche weisenden Einheit zwischen Mensch und Natur spielen, zu sehen, kann man derzeit Klassiker des Surrealismus bestaunen: Giorgio de Chirico, René Magritte, Salvador Dalí oder Man Ray, fotografische Selbstporträts und surrealistische Tendenzen in der DDR inklusive. 153 Werke von 59 Künstlerinnen und Künstlern: Malerei, Grafik, Plastik und Fotografie. Im Gegensatz zur Romantik-Ausstellung brauchen wohl die meisten Menschen einen intellektuellen Zugang, um die Werke gewinnbringend betrachten zu können. Ja, die Surrealisten waren geprägt von der Gewalt des Ersten Weltkriegs. Ja, sie wollten das bestehende System, traditionelle Denkmuster hinterfragen. Und ja, man kann den Gegenwartsbezug so herstellen, wie es Matthias Rataiczyk, der Leiter der Kunsthalle „Talstrasse“, im Katalog tut: „Jetzt, ein Jahrhundert später, befinden wir uns in einer ähnlichen Situation. In einer Phase großer Unruhen sind wir mit einer neuen Wirklichkeit, einer ‚Zeitenwende‘ konfrontiert und stehen vor enormen Herausforderungen, die es zu erklären und bewältigen gilt.“ Dennoch, Breton schrieb in seinem „Manifest des Surrealismus“ dies hier: „Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität.“ Was ist eine „absolute Realität“? Eine entscheidende Frage! Der Surrealismus ist eine Weltanschauung, die sich einen höheren Sinn im Weltgeschehen stiften wollte. In der Zusammenführung von faktischer Realität und menschlichem Innenleben mit all seinen Abgründen glaubte man, den Sinn des Lebens entdecken und darstellen zu können. Statt das Sinnbedürfnis selbst zu hinterfragen, arbeitete man an der Konstruktion einer „absoluten Realität“. Der Künstler als derjenige, der die höhere Wirklichkeit, den Sinn erkennt! Wie und ob das ein geistiger Weg sein kann, um unsere heutige Welt zu verstehen, kann fortan gefragt werden.
Text: Mathias Schulze