Scherbenhelden, 14. September, Cammerspiele im Werk 2, 19 Uhr, alle Termine: www.cammerspiele.de; mehr über den Autor: www.johannesherwig.de
Die Cammerspiele und das Werk 2 bringen den Roman „Scherbenhelden“ vom Leipziger Autor Johannes Herwig auf die Bühne. Regie führt Susann Schreiber. Im Stück geht es um Leipzig im Jahr 1995. Es sind die Zeiten des Umbruchs – im Land, in der Stadt, im Viertel und in den Familien. Grund genug, beim Autor selbst, bei Johannes Herwig, nachzufragen
Eine Frage zuerst: Wohnen Sie heute noch in Leipzig?
Das tue ich, und sehr gern, auch wenn ich nicht mit jeder Entwicklung der letzten Jahre zufrieden bin. Trotzdem verbinde ich mit der Stadt viel Prägendes und fühle mich ihr sehr verbunden. Daran wird sich wohl auch nichts mehr ändern. Ich habe hier eine ganz intensive Kindheit und Jugend verbracht und mittlerweile ziemlich viele Aggregatzustände von Leipzig gesehen, dabei erschien sie mir immer sehr lebens- und liebenswert.
Haben Sie sich „Scherbenhelden“ in der Cammerspiele-Inszenierung schon angesehen? Was sagen Sie?
Na klar, ich konnte es kaum erwarten, ich war bestimmt fast so aufgeregt wie die Darstellerinnen. Dann hat sich auch noch die Premiere wegen eines Corona-Falls verschoben, das war echt hart! Aber dann konnte ich das Stück endlich sehen, und es hat mich wirklich umgehauen. Natürlich wurde der Inhalt für die Bühne komprimiert, aber die Mitwirkenden haben exakt den richtigen Fokus und Ton getroffen. Ich war richtig beseelt und habe mir die Aufführung auch noch ein zweites Mal angesehen. Leider war mir im Frühjahr zeitlich nicht mehr möglich, aber am 14. September komme ich auf jeden Fall nochmal! Das Ding macht einfach Riesenspaß!
Steht man als Autor während der Erarbeitung des Stückes mit den Theatermachern im ständigen Austausch?
Das kommt auf den Autor an. Ich selbst hatte mich ganz bewusst dazu entschieden, diese unglaublich sympathischen Leute ihr Ding machen zu lassen und mich dementsprechend komplett rausgehalten. Ich habe auch die Bühnenfassung abgenickt, ohne sie zu lesen. Ich sehe das so: Es ist für mich eine Riesenehre, dass es dieses Projekt gab und gibt. Da muss ich nicht groß in den Prozess reinquatschen, sondern kann mich einfach überraschen lassen. Und so hat es für mich dann ja auch funktioniert. Aber es gibt natürlich auch Autor*innen, die da weniger Vertrauen oder vielleicht auch weniger Glück mit den Macherinnen haben.
Im Roman geht es um Jugendliche in der Großstadt. Wir sind im Jahr 1995. Eine Zeit, als der Umbruch nach der Wende heftig tobte. Ihr Roman ist aktuell nicht der einzige, der sich mit dem Thema beschäftigt. Hatten Sie schon mal den Gedanken, dass das Thema in der popkulturellen Gegenwart inflationär oder zu klischeehaft aufgegriffen wird?
Nein, gar nicht. In den letzten Jahren sind ein paar ganz großartige Bücher und Artikel dazu erschienen, für die ich richtig dankbar bin. Ich finde eher, dass das Thema ungerechtfertigterweise schon wieder ziemlich durch ist. Dabei werden wir noch Jahrzehnte über Ost/West, DDR-Sozialisation, Demokratieskepsis, einfach über die unterschiedlichen Prägungen hier und dort reden müssen.
Wie sind Sie zum Thema gekommen?
Nach meinem Debütroman „Bis die Sterne zittern“, der mir auf eine andere Art ein persönliches Anliegen war, hatte sich ziemlich schnell der Plan herausgeschält, von meiner eigenen Jugend zu erzählen. „Scherbenhelden“ ist sehr autobiographisch, auch wenn natürlich einiges verfremdet oder neu von mir zusammengebaut wurde. Es hat aber alles irgendeinen Bezug zur Wirklichkeit. Ich wollte das Lebensgefühl dieser Generation einfangen und für die heutige, spätere verständlich machen. Denn wann gibt es das? Also, Kind sein in einem System, das völlig andere Dinge von einem erwartete als das andere System, in dem man dann erwachsen werden soll. Das ist eine absolute Ausnahmesituation, über die ich den Rest meines Lebens Geschichten schreiben könnte.
Die Vergangenheit hilft beim Verstehen der Gegenwart: Was kann man vom Blick in die 90er Jahre für die (Leipziger) Gegenwart lernen?
Zum Beispiel, dass die Alltäglichkeit und Allgegenwärtigkeit von Nazi-Gewalt jederzeit wiederkommen kann, wir sehen die Entwicklungen in bestimmten Ortsteilen. Leipzig mag eine alternative Hochburg in Sachsen sein, aber das heißt nicht, dass die Jugend hier immun ist gegen rechtes Gedankengut. Na ja, und der Süden bleibt wohl immer ein Stück unverstanden. Wer sich die Geschichte genauer anschaut, findet aber vielleicht auch die Gründe dafür, warum die Leute hier so sind, wie sie sind.
Sie arbeiten gerade am dritten Roman namens „Halber Löwe“. Können Sie schon mehr verraten?
Sehr gern, denn ich bin sogar schon fertig. Es ist eine Geschichte über vier Jungs, Außenseiter, die sich auf der Straße Respekt erkämpft haben, aber eigentlich keine Ahnung haben, wohin sie mit sich sollen. Aus reiner Langeweile fangen sie an, sich gegenseitig Mutproben abzuverlangen – eine gefährliche als die andere. Als ein fünfter Junge in die Gruppe kommt, passiert etwas, das alle Gewissheiten und Gewohnheiten auf den Kopf stellt. Der Roman beschäftigt sich mit einem Aspekt des Lebens, der mich sehr umtreibt, aber allzu viel möchte ich nun doch noch nicht verraten. Erscheinen wird das gute Stück um den Jahreswechsel. Das Ganze ist wieder in Leipzig verortet und die Schatten der DDR-Zeit spielen eine gewisse Rolle, das Setting ist diesmal aber eigentlich nicht ganz so wichtig für die Geschichte wie in meinen ersten beiden Büchern. Wer diese mochte, wird jedenfalls mit Sicherheit nicht enttäuscht. Die ersten Seiten eines vierten Buches habe ich auch schon auf dem Laptop, es wird also weiter Lesestoff von mir geben!
Text: Mathias Schulze