„letterwomantalk“, 19. März, Botanischer Garten Leipzig, 18 Uhr und Ausstellung von Mayjia Gille am 24. April in der Galerie W182, alle konkreten Termine unter www.mayjiagille.com
Die Leipziger Autorin, Musikerin und Malerin Mayjia Gille moderiert die Talkrunde „letterwomantalk“, die am 19. März in den Botanischen Garten Leipzig einlädt. Gäste im März sind Alban Nikolai Herbst und der Jazz-Musiker Joe Hertenstein. Und Gille hat mit „Landgang“ einen Roman geschrieben, der die Geschichte eines 12-jährigen Mädchens erzählt, die 1986 mit ihrer Mutter die DDR verlässt und sich dann im inneren Niemandsland befindet. Grund genug, bei Gille nachzufragen
Hallo, Mayjia Gille, Ihr Roman soll auf Grundlage autofiktionaler Erlebnisse und authentischer Akteneinträge der DDR-Staatssicherheit geschrieben sein. Wieso haben Sie diesen Roman geschrieben?
In erster Linie hat es mich selber interessiert, diesen Roman zu schreiben. Es war kein Auftragswerk. Was ich jetzt, da er draußen ist, merke: Geschichte gerät vor allem in ihren subversiven und mit ihren hochpersönlichen Hintergründen und Geschehnissen in Vergessenheit. Manchmal wird Vergangenheit verklärt, weil wir als Menschen doch Traum und Wirklichkeit in der Erinnerung vermischen. Aber wenn man Stasi-Akten mit Original-Einträgen in der Hand hält, dann kann man an der damals erlebten Realität schlecht vorbei gehen. Man muss wieder hinsehen. Darf neu sondieren: Was war gut, was war verwundend?
Der Roman enthält viele Geschichten verwundeter realer Personen?
Ja, und echte Stasi-Akteneinträge. Mit Erlaubnis meiner Mutter habe ich ihre Einträge abdrucken dürfen.
Die Geschichte von Magdalena und ihrer Mutter …
… ist wahr. Ich habe aber in den beiden Figuren vieles verarbeitet, eingearbeitet. Man darf die beiden Personen verstehen wie Role-Models im Theater – Beispiele für Verhaltensweisen, Archetypen, Psychogramme. Ich habe zehn Jahre recherchiert, viele Interviews geführt. Mit Geflüchteten aus der DDR und Ex-Stasi-Leuten. Und ich wollte diesem Kind (Magdalena) eine Stimme geben, weil die Kinder und Jugendlichen niemand wirklich gefragt hat, ob sie ihre Heimat verlassen wollten. Und das ist auf alle Zeiten übertragbar, in denen Menschen ihre Heimat verlassen, die sie vielleicht so nie wiedersehen werden und Menschen zurücklassen, die eigene Familie sind. Das kann traumatisch sein. Und als solches ist es wie eine „Rückschau“ geschrieben.
Der Roman soll zeigen, dass …
… es nicht politische Systeme sind, die uns bedrücken, aufs Abstellgleis bringen oder froh machen, sondern immer die Art der Zwischenmenschlichkeit. Zwischen den Systemen ist genau das entscheidend, wie Menschen mit uns umgehen und was wir selbst in uns tragen, damit umzugehen. Hoffnung und Glaube oder Dumpfheit und Gewalt. Deshalb habe ich den Roman geschrieben. Magdalena nutzt ihr inneres Niemandsland und bespielt es, kämpft sich frei, scheitert, erfährt wieder Heilung – auch durch gute Erfahrungen mit Menschen. Magdalena macht das über eine starke kreative Innenwelt, die leicht autistisch ist, was in dem Falle Glück ist. Glücklich, wer eine reiche Innenwelt, also Fantasie, mitbekommen hat und sich selbst beschäftigen kann. „Glücklich, wer eine reiche Innenwelt, also Phantasie, mitbekommen hat und sich selbst beschäftigen kann.“
Welche Reaktionen gab es bislang nach den Lesungen? Was hat sie dabei vielleicht verwundert oder überrascht?
Ich habe es in der Ich-Form formuliert und die Familienkonstellationen sind sehr ähnlich zu meinen eigenen. Die Mutter-Tochter-Beziehung und auch die BruderSchwester-Beziehung. Ich habe vor allem zu meinem großen Bruder eine starke Bindung, die in der Kindheit begründet liegt. Die habe ich in das Buch aufgenommen. Zeiten und Orte sind manchmal eher fiktiv. Die Reaktion meiner Eltern war sicher das Überraschendste. Wenn man mich nur als Mayjia sehen will, vergisst man die Schriftstellerin und überliest das Fiktionale. Was sich in Form von Entrüstung („Aber so war ich doch gar nicht, aber so war es doch gar nicht!“) bei meinen Eltern niedergeschagen hat. Da musste viel erklärt werden.
In der Generation Ihrer Eltern …
… hat man nicht Rücksicht auf Kindergefühl genommen oder gefragt, wie es dem Kind geht. Auf der anderen Seite ist alles noch mal in ihnen hochgekocht, vor allem in meiner Mutter, die ja die Leute kannte, die sie bespitzelten und die sie in ihrer Stasi-Akte von der Gauck-Behörde wiederfand. Und ja, es gab auch laute entsetzt Stimmen derer, die die jugendliche Magdalena im Buch als ehemalige IM entlarvt. Auf einmal sagten genau diese Leute, dass sie alle nie für die Stasi gearbeitet haben. Allerdings: Was in den Akten steht, steht da. Und da kann man nix wegdiskutieren.
Das Buch ist …
… dennoch keine Anklage, es ist eine Wahrnehmungssicht, ungehemmt aus der Sicht der jugendlichen Protagonistin. Mit dem Roman kommt bei den Zuhörenden meist die Lust, nichts mehr wegstecken zu wollen. Zwei Drittel des Buches erzählen über die Zeit in West-Berlin und in München Ende der achtziger Jahre. Es ist also kein „DDR-Roman“. Das Kind Magdalena und ihre Mutter sind ostund westsozialisiert. Das interessiert vor allem Teenager und junge Erwachsene. Ich lese das Buch auch in Schulen, und es kommen zu den Lesungen wirklich Alt und Jung, was ich von Herzen gern habe. Die Generationen kommen über das Medium des Romans ins Gespräch. Was will man mehr?!
Das vollständige Interview ist unter www.facebook.com/FrizzLeipzig einsehbar.
Text: Mathias Schulze