Zwei Mörder und kein Todesfall, bis 19. August, alle Termine unter www.anker-leipzig.de
Das Open-Air-Theater des Leipziger Ankers erfreut sich immer größerer Beliebtheit, Regenvariante im Saal inklusive. Auch dieses Jahr ist das neue Stück „Zwei Mörder und kein Todesfall“, das frei nach Eugène Labiche (1815–1888) und unter der Regie von Marco Runge umgesetzt wird, gewürzt mit allerlei vergnüglichen Sommertheater-Ingredienzien
Tücher, ein Sonnendeck und ein großer Tisch mit halbleeren Weinflaschen. Dazu spielt Regisseur Marco Runge noch live Gitarrenmusik. Im Hof des Ankers ist alles angerichtet für eine vergnügliche und unterhaltsame Zeit. Willkommen zu einer kleinen Abwechslung. Die Smartphones, die vom Krieg berichten, können mal ausgeschaltet werden. Zeit für Sommertheater! Als Elena Maria Pia Lorenzon als flottes und leicht rebellisches Dienstmädchen, das im Hause eines Immobilienhändlers die Drecksarbeit macht, die Bühne betritt, liegt ihr das Publikum innerhalb weniger Sekunden zu Füßen: Diese schauspielerische Präsenz, dieses Kecke, diese sich großflächig durch den Körper ziehende Gestik und Mimik, Haushaltsarbeit als Tanz. In anderen Theaterzusammenhängen wäre es vielleicht zu dick aufgetragen, aber hier passt es. Wir sind im 19. Jahrhundert in Paris, der Eiffelturm wurde gerade gen Himmel gerichtet. Mit Feuer im Hintern, mit baldigem Alkohol im Blut gibt Lorenzon als Magd gleich einmal ein Rollenspiel zum Besten, sie äfft ihre Herrschaften nach: Ja, ja, das und das wird verlangt! Und gerne noch einen Brunnen ausheben! Ja, ja, ja, das mache ich natürlich voller Inbrunst! Ach, und Sie hier im Publikum: Wollen Sie vielleicht die Schuhe putzen?! Man erwischt sich bei dem Gedanken, dass Lorenzon mit dieser quirligen Kraft jetzt auch einen Solo-Abend spielen könnte. Sommertheater ist auch ein mit dem Publikum interagierendes SchauspielTheater. Und dann ein Schnarchen! Da liegt einer – nein, zwei - unter dem Tisch! Bahn frei für den versoffenen Herren des Hauses und seinen ebenfalls unter einem Alkohol-Filmriss leidenden Freund und Chefkoch. Bahn frei für Michael Rousavy und Armin Zarbock! Und wieder ist es eine Lust, den Schauspielenden zuzusehen: Rousavy turnt sich mit einem absurden Gesichts-Kaspar nach dem nächsten in die Hosen. Zarbock, der im August von Felix Kerkhoff ersetzt wird, feuert das Zusammenspiel der wohlhabenden Männer in eine Kategorie, die an berühmte Paare der Filmgeschichte erinnert. Laurel und Hardy treffen auf Ernie und Bert. Keiner der beiden weiß genau, wer der andere ist, wie man sich eigentlich dermaßen zusammensaufen kann, dass am Morgen nichts als ein Erstaunen über die vergangenen Stunden bleibt. Was haben wir getan? Wer bist du? Verschwinde! Die Etikette verlangt es, also bleibt man höflich zueinander. Die Wahrhaftigkeit sucht ein Ventil, also spricht man seine Verachtung für den anderen ins Publikum. So fließt die Ebene namens Schein und Sein, das krampfhafte Halten und das befreiende Fallenlassen der bildungsbürgerlichen Verhaltensregeln lockerleicht ins Spiel. Sommertheater ist die Zeit für kleine, aber pfiffige Ideen. „Ein vergnügliches, ein verspieltes, ein pfiffiges und unterhaltsames Stück.“ Mehr noch: Will der Chefkoch nach LimbachOberfrohna, flirtet das Dienstmädchen mit wiehernden Pferdegeräuschen, leckt Johanna Schäfer als Frau des Hauses genüsslich den langen Löffel ab, ist jene Prise Lokalkolorit und Sinnlichkeit am Start, die ein Sommertheater gebrauchen kann. Entscheidend ist, wie man die Kalauer platziert. Die Ehefrau schwärmt vom Chefkoch und dessen Gerichten – voller Fokus auf ihr Kosten, auf ihr Wort, das sie langgezogen und genüsslich in den Himmel schnalzt: „Magnifique!“ Mit Betonung und Eindeutschung aufs Hinterteil! Puh, hier ist es keine leichte Kunst, nicht ins Abgeschmackte abzurutschen. Solche Schoten müssen ausbalanciert sein. Und genau das gelingt prima! Die Schenkelklopfer bleiben sanfte Beinstreichler - auch dank der Gesamtatmosphäre, die immer wieder mit Live-Musik abgeschmeckt wird, dank des hintergründigen Witzes und dank der schelmischen Spiellust der Schauspielenden. Ach, und dann haben die beiden Herren ja auch noch Kohlendreck an den Händen, dann wurden ihre vermissten Dinge auch noch am Tatort eines ermordeten Kohlemädchens aufgefunden! Was ist da los? Irrungen und Wirrungen, Herren und Knechte. Zählen manche Leben mehr als andere? Sind die Herrschaften Mörder? Und wie bringen sie die nahestehenden Menschen, die sie verpfeifen könnten, zum Schweigen? Verraten werden soll nicht zu viel! Dass es aber noch Zeitlupen-Darstellungen, die das in der Seele Verdrängte nach außen spielen, und eine herrlich beiläufige und scheinbar sinnfreie Szene gibt, in der das Dienstmädchen einen Fußball auf den Elfmeterpunkt legt, darf hier noch notiert sein. Ein vergnügliches, ein verspieltes, ein pfiffiges und unterhaltsames Stück. Erst wenn das Sommertheater vorbei, muss das Smartphones wieder angeschalten werden.
Text: Mathias Schulze