Torsten, 14. und 15. Februar, Schaubühne Lindenfels, jeweils 20 Uhr, www.theater-aggregate.de
Die Schaubühne Lindenfels zeigt das Theaterstück „Torsten“ des freien Theaters „Aggregate“ aus Halle. Nach Lothar Trolles „Torsten S.“ wird die Geschichte des Hochstaplers Torsten Schmitt aus Sachsen-Anhalt erzählt. Eine Geschichte über Ost und West, eine Geschichte über Glücksritter und deren Scheitern
Stühle stehen auf dem Boden, der Schauspieler David Jeker kommt mit Glatze, Hosenträgern, Lederjacke, Sonnenbrille und weißen Schuhen. Ein Gruß aus der Nachwendezeit im Osten ist präsent. Die damalige Zeitenwende brachte Glücks- und Freiheitsritter in Stellung. Welche Geschäfte waren lukrativ? Ein Pornoladen, ein Autohandel, Versicherungen? Mit dem abgelegten Staat waren alte Götter gestorben. Der Glatzkopf auf der Bühne kommt ins Schwärmen: Einmal ein echter Bankräuber sein, einmal Verfolgungsjagden wie im Hollywood-Film erleben! Ein Aufschrei, eine damalige Kollektiverfahrung: Gebt sie endlich her, diese (West-)Bilder, die unsere Träume besetzten! Die Schauspielenden Stefan Ebeling und Astrid Kohlhoff folgen in ähnlichen Outfits, gemeinsam werden sie zum erzählenden Chor. Wer spricht da? Ein Erzähler? Der Torsten selbst? „Torsten erlebt den Wechsel der Identitäten als Befreiungsschlag, als rauschhaften Zwang. Er jongliert mit Verabredungen, Symbolen, Glaubenssätzen, also dem Stoff, aus dem unsere Gesellschaft besteht“, sagt Regisseur Silvio Beck. Ein hochkonzentriertes Bühnenstück. Rasante Gestik, wilde Pantomimen, Zeitlupen-Szenen, ab und an wird es dialogisch. Wie war das mit dem Ratschlag des Nazi-Opas? Und schon landet man im DDR-Kinderheim, schon kommen sadistische Quälereien aus den Kasernen geschwappt. Eine atemlose Dichte. Kaum versucht man, ein TorstenPsychogramm zu erstellen, schon sind neue Theaterkniffe zu bestaunen. Lichtröhren auf dem Boden, ein Tisch wirbelt unter Koks-Einfluss durch die Luft, die drei Torstens haben plötzlich verschiedene Kostüme an. Identitätszersplitterung als Folge eines gesellschaftlichen Systemabsturzes? Kaum kramt man in seinen NachwendeErinnerungen, schon fasziniert ein cooler Ausdruckstanz, dessen metaphorische Kraft zwischen geilem Striptease und panischen Seelenfluchten angesiedelt ist. Musik? Bernd Jestram! Torsten wird zum Dr. Becker vom Auswärtigen Amt, zum MTV-Promoter, zum Organisator des Nato-Gipfels in Mecklenburg-Vorpommern. Ein sehenswertes Action-Spektakel, ein postdramatisches Biopic. Was machen wir mit unserer Selbstverwirklichung, wenn nur noch die individuelle Perspektive zählt?
Text: Mathias Schulze