Der Gott des Gemetzels, am 26. April um 19 Uhr, am 30. April um 15 Uhr, am 2. und 18. Mai um jeweils 19 Uhr, Anhaltisches Theater Dessau – Altes Theater/Studio, Tickets: www.anhaltisches-theater.de
Mit dem Stück „Der Gott des Gemetzels“ tobt ein ganz wunderbarer Blockbuster der Gegenwart durchs Studio des Anhaltischen Theaters Dessau
Was passiert, wenn die Bourgeoisie die Maske verliert, wenn Menschen einem Ideal hinterherhecheln, obwohl sie aus krummem Holze geschnitzt sind? Die Folge: Kostümfeste, Entblätterungseffekte, individuelle Häutungen als allgemeine Phänomene. Aber ist Zivilisation anders möglich? Braucht es nicht das Gewand als Schutz, um friedlich nebeneinander zu leben? Und kaum kommen die Risse, trampelt schon jemand schabernackend darauf herum. Yasmina Rezas Stück wurde auch deswegen zum Theater-Klassiker, weil man sich selbst in den Figuren wiedererkennt.
Die Thematik braucht nicht viele Kulissen, so ist es auch in Dessau. Stühle, ein Tisch, Kunstkataloge, frische Tulpen aus Holland. Und dann treffen sich zwei Elternpaare im Pariser Wohnzimmer, um den Konflikt ihrer Kinder zu klären. Die Thematik braucht gute Darsteller, die dem „Gott des Gemetzels“ verfallen.
In Dessau sind sie zu finden: Norhild Reinicke, die Maribel Dente in diesem hier beschriebenen Fall ersetzte, spielte die sozial und kulturell engagierte Vèronique Houllié. Jan-Eric Meier verkörpert deren Ehemann Michel als gutmütigen Verkäufer von Klospülungen. Ein nettes Lächeln hier, ein bedingungsloses Verständnis dort. Edgar Sproß darf die Rolle des egomanen Anwalts Alain Reille mit breitem Grinsen und permanent klingelndem Handy spielen, derweil Mona Georgia Müller in die Rolle seiner eleganten Frau Annette schlüpft.
Gut, wie die vier Schauspielenden, die Entblätterungslogik langsam vorantreiben. Fratzenhaftes Lächeln, hochgezogene Augenbrauen, kleine Gesten, verrutschte Physiognomien. Anfangs verläuft es im Modus der Höflichkeit: Es gibt kein Leben jenseits meiner Maximen, keinen Wert jenseits meiner Irrwege! Nur mein Weltbild, wie alle mühsam zusammengezimmert, macht die Dinge durchschaubar! Gib das zu, sonst kommst du hier nicht raus!
Dann zerbrechen die Weltbilder, werden die Waffen schärfer, die Anfälle gereizter. Kotzen, flirten, attackieren. Schuldgefühle, Exzesse, Unterwerfung. Westliche Werte und globale Katastrophen, Gender-Debatten und Cowboy-Phantasien. Man ahnt, wie am nächsten Tag alles wieder in geregelten Bahnen verläuft. Schließlich sind wir hier bei den Gewinnern der Geschichte, zu Gast beim wohlhabenden Bürgertum. Die unterhaltsame Inszenierung in der Regie von Axel Stöcker arbeitet ohne großen theatralen Überraschungseffekt, kann sich aber auf den Reiz der Thematik verlassen.
Text: Mathias Schulz