Wolfgang Niedecken singt und liest Bob Dylan, 20. Juli, Pferderennbahn Halle, 20 Uhr, Tickets: www.kaenguruh.de
In „Wolfgang Niedecken über Bob Dylan“ erzählt der BAP-Sänger von Berührungspunkten und Inspirationen. Am 20. Juli wird das Buch zusammen mit Dylan-Songs auf der Rennbahn vorgestellt. FRIZZ-Redakteur Mathias Schulze hat bei Niedecken nachgefragt
Zuerst dies: Herzlichen Glückwunsch nachträglich zum 70. Geburtstag und zum Klassenerhalt des 1.FC Köln! Der Klassenerhalt war das bedeutsamere Ereignis. Sagen Sie. Zu Ihrem Auftritt in Halle: Im Ankündigungstext für Ihren Dylan-Abend steht, dass Sie ihr „Vorbild mehrmals persönlich getroffen haben“. Lassen Sie uns mal Mäuschen spielen: Wo, wann und wie war das denn?
Das erste Mal war es ein Zufall. Wir drehten mit dem Regisseur Wim Wenders unseren BAP-Film „Viel passiert“, der 2002 in die Kinos kam. Und Dylan, der ein sehr guter Freund von Wenders ist, spielte an einem der Drehtage in Köln. Also bin ich mit ihm aufs Konzert gegangen, es ergab sich danach die Möglichkeit einer ungezwungenen Unterhaltung unter sechs Augen. Dort lernte ich Dylan als eine Art Privatgelehrten kennen. Er wollte damals von Wim ganz viel über die deutschen Kaiser wissen. Das konnte Wim nicht alles ad hoc wissen, aber er hat versprochen, ihm zum nächsten Konzert in Berlin die entsprechenden Informationen rauszusuchen. Dylan war sehr geerdet, nicht die Bohne abgehoben.
Können Sie aufgrund dieser Begegnungen mediale Dylan-Mythen widerlegen?
Er verhält sich gegenüber der Öffentlichkeit sehr verschlossen, weil er ein schüchterner Mensch ist. Wenn ihn jemand nach dem Sinn seiner Textzeilen fragt, pflegt er „It’s all in the song“ zu antworten. Dylan ist wortkarg gegenüber der Öffentlichkeit, deswegen ja auch die Sonnenbrille. So muss er dem Gegenüber nicht in die Augen schauen.
Ein Gedankenexperiment: Was wäre passiert, wenn BAP von Anfang an hochdeutsche Texte, ohne Kölschen Dialekt, präsentiert hätte?
Ich glaube, das hätte uns dieser prägenden Besonderheit beraubt. Als wir uns damals zum Dialekt bekannten, war das ja ein Alleinstellungsmerkmal. Wir waren die Ersten, die damit überregional Erfolg hatten. Für mich war es immer eine Gefühlsfrage. Ich fühle mich einfach wohler, wenn ich in meiner Muttersprache reimen kann.
Hochdeutschen Texten hätte die entscheidende, emotionale Note gefehlt?
Hochdeutsch ist eine Amtssprache. Und wer will schon in einer Amtssprache seine Gefühle ausdrücken? Alle, die auf Hochdeutsch singen, haben einen gewissen Dreh, um dieser Amtssprache zu entkommen. Grönemeyer und Lindenberg knödeln und nuscheln ja extra.
Erinnern Sie sich noch an Ihre erste einschneidende Begegnung mit der DDR?
Das war eine Klassenfahrt nach Berlin, ich war 17 Jahre und kann mich noch genau an dieses schlechte, beklemmende Gefühl erinnern, als wir an der Grenze von so furchterregenden und militärischen Typen kontrolliert wurden. Deren Ausstrahlung war für mich eindeutig: Die hassten uns, die wollten uns nicht.
Und später?
Da gab es Schikane auf der Autobahn. Ich fuhr mit meiner Kastenente …
Eine Kastenente? Ich kenne nur Janosch Tigerente.
Kastenente: So nannte man damals einen Citroën 2 CV-Lieferwagen. Ich hatte also meine Bilder für eine Ausstellung in Westberlin in meiner Kastenente und in Helmstedt ging’s in die Grenzkontrolle. Stundenlanges Warten. Als ich endlich an der Reihe war, sagte mir der Beamte, dass mein Citroën im Fahrzeugschein nicht als PKW, sondern als LKW zu werten ist. Der hätte einfach alles kontrollieren können, aber nein! Also ging es für mich wieder zurück in die LKW-Schlange, wo ich noch einmal zwei Stunden warten musste. Später beim Pinkeln hatte ich dann meine Kastenente extra auf einem LKW-Parkplatz geparkt. Und schwupps kam ein Beamter und fragte mich, warum ich meinen PKW hier parkte.
Ihre Reaktion?
Ich habe ihm meinen Fahrzeugschein gezeigt und bin wütend Pinkeln gegangen.
Wie schauen Sie denn heute von Köln aus auf den Osten?
Seit die Mauer gefallen ist, hatten wir bereits drei Musiker aus dem Osten in der BAP-Besetzung. Eine absolute Bereicherung! Die Kollegen hatten eine ganz andere Ausbildung als wir. Wir alle haben viel von ihnen gelernt. Ich muss aber auch sagen, dass ich mich erst ab 1984 sukzessive über den Alltag in der DDR informiert habe. Damals leider erst, nachdem man unsere DDR-Tour zensieren wollte. Wir hatten damals die Tour am Abend vor dem ersten Auftritt im Palast der Republik abgesagt.
Einen Niedecken gibt es nicht ohne soziales, antirassistisches und politisches Engagement. Warum ist das so? Ich frage deswegen so seltsam, weil es auch viele Popstars gibt, deren Engagement sich im Herzchen- Zeigen erschöpft.
Ich war immer ein politischer Mensch, meine Generation wurde durch den Vietnam-Krieg politisiert. Das war das erste Mal, dass wir nicht mehr den Papa fragten, wie er irgendwelche politischen Zusammenhänge findet. Diese Politisierung ist geblieben, ich brauche jeden Tag vernünftige Nachrichten. Das ist ja auch mein Material, darüber denke ich nach – dann gärt es, dann formt sich daraus nicht selten ein Song. Ich kann keine Songs auf Bestellung schreiben, irgendetwas muss mich angefasst haben. Das will dann raus. Kriege ich es in eine Form, ist es wie ein gutes reinigendes Gespräch mit dem Psychiater.
Warum sollte man am 20. Juli auf die Rennbahn kommen?
Ich lese Passagen aus meinem Dylan-Buch und bilde mit meinem langjährigen Freund Mike Herting eine winzige Band, die Dylan- Songs und zwei, drei BAP-Lieder vorträgt. Die Songs sind dann mal eingekölscht, mal im Original. Es muss fließen und alles zum Buch passen. Wir werden garantiert nicht zweieinhalb Stunden „Verdammt lang her“ singen.
Dieser Song. Ist er Fluch und Segen zugleich?
Ich bin auf jeden Fall froh, dass dieser Publikumsliebling ein guter Song ist, dass ich ihn immer gerne singe.
Text: Mathias Schulze