Nichtseattle, 6. Juni, Conne Island, 20 Uhr, www.facebook.com/Nichtseattle
Die Berliner Songschreiberin Katharina Kollmann alias Nichtseattle hat mit ihrem dritten Studioalbum „Haus“ die Kritiker zum Entzücken gebracht. Der folkige Indierock lebt von einer zerkratzt-verletzlichen Stimme, von Kollmanns eigentümlichen Gitarrenspiel, von ihrer mäandernden Art, sich zwischen sechs bis acht Minuten Zeit für Assoziationen zu lassen, die das Persönliche stets poetisch mit dem Gesellschaftlichen verbinden. Zu hören sind Riffs, die wie kleine Mantren auf ihrer Bariton-Gitarre schwingen, die zwischen Orient und Okzident, zwischen Ost- und Westdeutschland, zwischen Folk und Rock aus Nichtseattle ein in Deutschland einzigartiges Projekt machen. Grund genug, Kollmann zum Interview zu bitten
Haben Sie schon alle Kritiken zu „Haus“ gelesen?
Ich glaub’ fast alle, ja.
Was macht so viel Lob mit Ihnen? Ist es nur schön? Oder gibt es auch einen Hauch von Last und unangenehmer Erwartungshaltung, den Sie nach Lesen der Kritiken empfinden?
Ich freu’ mich schon über das positive Feedback und darüber, dass die Musik, die ich mache und so wie ich sie mache, was vielleicht nicht immer den gängigen Hörund Konsumgewohnheiten entspricht, nicht nur mich berührt. So richtig happy macht’s einen auf Dauer aber auch nicht, sich so viel mit Bewertung und Feedback zu beschäftigen. Ich komm da in Denkstrukturen rein, von denen ich mich für das nächste Album auf jeden Fall gerne wieder freimachen darf.
Die ersten Minuten des Songs „Beluga“ haben bei mir gereicht: Sofort emotional angefixt! Eine sich steigernde – auch intellektuelle – Begeisterung, mehr und mehr Songs zu hören und neue Ebenen zu entdecken.
Das freut mich sehr, danke! „Manchmal weine ich sogar, während ein Song entsteht.“
Können wir trotzdem kurz Ihre Biografie in ein paar Stichwörtern haben? Wie sieht so ein durchschnittlicher Tag bei Ihnen aus?
Durchschnittliche Tage gibt’s irgendwie zu wenig in meinem Leben, hätte ich manchmal gerne mehr. Aber ich bin tatsächlich sehr viel und gerne im Proberaum mit der Band, aber auch gerne alleine. Am liebsten schreibe ich Lieder, denke mir Musik und Texte aus. Es kommt aber fast ein bisschen zu kurz in allem was sonst so erledigt werden muss: Proben, organisieren, Promo, Konzerte spielen, wobei das ja auch sehr schön ist, also Konzerte spielen. Und ich empfinde eine große soziale Verantwortung gegenüber dem Nachbarschaftschor, den ich leite, da fließt auch viel Aufmerksamkeit und Zeit rein. Also ich bin tatsächlich sehr viel mit Musik und dem Drumherum beschäftigt - und träume im Moment häufiger von einer aufgeräumten Wohnung, Momenten unaufgeregter Alltäglichkeit und Urlaub am Meer.
Wie entsteht so eine Song bei Ihnen?
Es ist nicht immer gleich. Es gibt Lieder, die entstehen wirklich in der allergrößten Not, da suche ich einfach Trost im Gitarre-Spielen. Fange fast zeitgleich an, dazu zu singen, irgendwas, was mir einfällt. Manchmal weine ich sogar noch dabei. Wenn mich ein paar Worte im Zusammenhang mit der Musik berühren, hab’ ich eigentlich schon den Song. Dann kann ich mich irgendwann in einem klareren Moment jederzeit wieder dransetzen. Der Song ist geboren und wächst jetzt entspannt weiter, Assoziationen und Bilder, erinnerte Aussagen und so weiter tauchen auf, vieles kommt hoch und reiht sich ein – und ich verstehe den Song und ein bisschen mich selbst immer mehr. Mir fallen aber auch Zeilen und Melodien auf dem Fahrrad ein. Oder einfach beim entspannten Vormichhinspielen mit der Gtiarre und Loopstation.
Gehen Sie gern auf Tour?
Ich bin eigentlich ziemlich gerne auf Tour, es ist anstrengend, aber man kriegt immer gutes Essen und viel Unterstützung und ich genieße es, das Gefühl zu haben, nur das und nichts anderes machen zu müssen, weil es ja auch gar nicht geht, ich muss an nicht viel anderes denken, das genieße ich wirklich.
Was sehen Sie auf Tour für ein Land?
Die Bühne ist auf eine Weise auch ein bisschen ein Safe Space. Man begegnet vielen Leuten, die einen ganz gut finden, mit denen man auch viele Werte teilt, man reist ja ein bisschen innerhalb einer bestimmten Bubble durchs Land, sodass man gar nicht so viel mitkriegt von wachsenden kulturellen Entwicklungen, die mir Angst machen und die ich abseits der Großstädte eigentlich schon vermute. Und was für mich schon immer auffällig und einfach interessant ist, wie unterschiedlich es in Ost, West, Nord und Süd doch ist und wie sich auch jeder Ort sehr unterscheidet von der Stadt, in der ich lebe.
Eine Frage zur großen – ostdeutschen – Liedermacher-Zunft: Haben Sie die gut studiert? Wen besonders?
Ich habe gar nicht so viele Liedermacher gehört. Eher meine Mutter und ich hab’ da viel mitgehört. Gerhard Schöne, Ludwig Hirsch, Hermann van Veen. Gerhard Schöne hat sich bei mir eingenistet. Und später hab’ ich auch noch Gundermann für mich entdeckt. Alles Männer fällt mir gerade auf … Ich wollte mich auch mal mit Bettina Wegner beschäftigen, hab’ ich aber noch nicht gemacht. Es ist aber auch nicht unbedingt das Genre, was ich am meisten höre. Ich liebe ja auch einfach Musik und bei den Liedermachern rückt das oft etwas in den Hintergrund zugunsten der Texte.
Was fehlt Ihnen zum vollkommenen Glück?
Eine gerechtere Welt und ein warmherzigerer und verantwortungsvoller Umgang der Menschen untereinander im kleineren Beziehungskontext genauso wie gesamtgesellschaftlich. Dafür braucht es auch mal eine emotionale und psychologische Perspektive, Aufklärung und Stärkung aller Menschen, aber auf jeden Fall auch ein System, das nicht alles nur auf die Selbstfürsorge und Eigeninitiative abwälzt, sondern soziale Sicherung bietet und vor Unvernunft schützt. Aber ehrlich gesagt auch die Lösung eines – wenn es denn so etwas gibt – ganz persönlichen Knotens.
Text: Mathias Schulze