Schüller, 2. Juli in der Villa Hasenholz und am 13. Juli in der naTo, alle Termine in Leipzig und Umgebung unter www.alph-schueller.de
Es war ein Record-Release-Konzert der Extraklasse. Anfang Juni hat der Leipziger Musiker Schüller mit acht fantastischen Musikern sein neues Album „Leichte Beute“ im Krystallpalast vorgestellt. Eine Konzert-Rezension von Mathias Schulze
Alles beginnt mit einem Schreckmoment. Kaum haben Gunter Schwarz (E-Gitarre), Miko Mikulicz (Geige), Anton Sterz (Trompete), Marcel Winkler (Bass), Jann van de Kaast (Schlagzeug), Ralf Schmidt (Mundharmonika), Frank Oberhof (Akkordeon) und Claudia Herold (Cello) an ihren Instrumenten Platz genommen, kaum haben sie sich für ein wildes, verspieltes und leidenschaftliches Zusammenspiel der kommenden zwei Stunden in Stellung gebracht, fällt das Scheinwerferlicht des Krystallpalast Varietés Leipzig auf Texter und Sänger Ralph Schüller: Der Kopf ist nach unten geneigt. Als er langsam zur Publikumsbegrüßung ansetzt, offenbart sich eine Fratze. Weiße Schminke im Gesicht, mittendrin verschmierte rote und grüne Farbtupfer. Ein Lächeln, ein Grinsen und ein „Hallo“: „Welcome, Babys!“
Wer jetzt nicht an Batmans „Joker“ denkt, kann seinem kulturellen Gedächtnis mit dem gleichnamigen Film auf die Sprünge helfen. Pochend, bedrängend, beschwörend und meditativ aufwühlend stellt die Band sogleich einen fetten Südstaaten-Blues in den Raum, der Joker krallt sich mit dem dunkel-religiösen Song, „Dass wir uns vergessen“, unsere Eingeweide: „Dass die Welt nicht vergeht / Mensch und Maus / Dass wir uns vergessen / Im An und im Aus.“ Welcome, Babys!
Was ist hier los? Kennt man Schüller vorrangig als Musiker, dessen Alben geprägt sind von süßer Schwermut und einer mediterranen Leichtigkeit, kann man nun durchaus zucken. Warum diese Maske, warum dieser freakige Auftakt? Hat Schüller einen künstlerischen Stilwechsel vollzogen? Tatsächlich ist dieser erste Eindruck beim Hören des neuen Albums „Leichte Beute“ nicht von der Hand zu weisen. Die neue Platte erscheint dunkler, irrsinniger und schwerer als die vorangegangenen Alben.
Von einem Stilwechsel ist dennoch nur bedingt zu sprechen. Schüllers Poesie kreiste schon immer um das in gesellschaftlich-politischen Strukturen eingekesselte Subjekt, um die Widersprüche der Verhältnisse, die sich auch im Inneren austoben. Schüllers Kunst sucht schon immer das Lebenswerte in einer kriegerischen Welt, das oft im Rückzug, in der Natur, in einfachsten Tätigkeiten wie dem Kochen oder dem Streicheln der Katze zu finden war.
„Wiegen, Wickeln, Essen“ heißt so ein Meisterwerk, das zusammen mit Danny Dziuk gesungen wurde. Bei Schüller finden sich viele sommerleichte und mehrfachbödige Hymnen auf den fallenden Schnee, auf die Sterne am Himmel, auf das ansprechbare „Du“, das dem zweifelnden „Ich“ Halt geben kann. Kurze Momente der Harmonie, kurze Augenblicke der Versöhnung.
Nur, wie kann ein innerer Frieden heute noch möglich sein? Pandemien und Kriege, Umweltkatastrophen, Verteilungskämpfe und gesellschaftliche Parallelwelten stellen uns radikal in Frage. Was denkst du? Wie lebst du? Was tust du? Steuern die Kinder und Kindeskinder schon zielsicher der Apokalypse entgegen? Pestizide in deinen Erdbeeren, Brände in deinen Wäldern, die Weltbilder fallen von den Wänden – und werden immer radikaler und entschlossener wieder aufgehangen. Keine Versöhnung, nirgends.
Also wirst du zynisch, kalt, berechnend und leicht wahnsinnig, irgendwie musst du ja auch weiterlaufen. Also berichten die Texte des neuen Albums von Zerrissenheiten, von brüchig gewordenen Paradiesen, von einer absurden Komplexität, die nicht mehr zu denken, sondern nur noch zu fühlen ist. In „Ein Tor ist ein Tor ist ein Tor“ heißt es: „Kaum aus dem Bett, die Lautsprecher senden / Krieg und Kompott und das Jahr fast vorbei / Der Winter wird kommen / Kein Heu mehr zu wenden / Mehr Umsatz, mehr Tote und mehr Polizei“. Also wird die Musik energischer, hitziger, abgründiger und schwermütiger.
Wie sehr die Zeiten zusetzen, erkennt man auch am fast schon tollwütigen Zusammenspiel der Musiker. Ein stimmiges Kollektiv, ein freundschaftliches Halten, Tragen und Ergänzen. Hier auf der Bühne, hier beim Musizieren ist es noch möglich. Also bringt man mit existenzieller Kraft sein Instrument zum Klingen, also schenkt man sich eine künstlerische Selbstbehauptung, die vom Lächeln des Anderen nur noch mehr angestachelt und stimuliert wird.
Schüller und Band transportieren einen Spaß und eine ansteckende Freunde ins Publikum, die bei routinierten Mehrzweckhallen-Musikern schon mal verloren gehen kann. So gehen die unterschiedlichsten Einflüsse (Folk, Country Blues, Rock, Jazz, Polka oder Metal) direkt in den Bauch, so vermittelt die Kommunikation der Musiker eine Freundlichkeit, die immer seltener zu finden ist. So setzen die assoziativen Texte Schüllers die Fantasie des Publikums in Gang. Songs, die nicht gängeln. Die Texte schenken interpretatorische Freiheiten.
Ein Schüller-Konzert ist ohne schnoddrige Kommentare nicht zu haben. Dass sie selten einstudiert klingen, macht es umso sympathischer. So ruft es mal von der Bühne herab: „Ach, Jürgen, du bist auch da? Jetzt hab’ ich dich gesehen!“ Am Ende gibt es stehende Ovationen, Verneigungen wären auch angemessen. Und kaum steht man – noch vibrierend von Leben und Energie – auf der Straße, rasen schon wieder Polizei-Autos mit Blaulicht durch die milde Frühlingsnacht.
Schüller hat mit „Leichte Beute“ und mit Band, Kollegen und Freunden den Soundtrack für unsere Gegenwart in die Welt gestemmt. Es sind Songs für eine Zeit, in der der liebe Gott dem Teufel einen scharfen Schnaps ausgeben will. Chapeau!
Text: Mathias Schulze