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Die Leipziger Musikerin Sarah Lesch hat 2020, mitten in der Pandemie, das Album „Der Einsamkeit zum Trotze“ vorgelegt. Nun legt sie mit einer intensiven „Triggerwarnung“ nach. Ein Porträt
„Wir schaffen das nur gemeinsam – der Einsamkeit zum Trotze.“ Als Sarah Lesch, Jahrgang 1986 und geboren im thüringischen Altenburg, diesen zuversichtlichen Refrain mit den sozialen Brennpunkten der Republik zusammenführte, konnte man vom Corona- Virus noch nichts ahnen. Das Lied „Der Einsamkeit zum Trotze“ findet sich auf dem gleichnamigen Album, das im Mai 2020 beim Leipziger Musikverlag „Kick The Flame“ erscheinen ist.
Da geht es beschwingt und verspielt um Einsamkeiten in der Beziehung, in der Familie, im Alter und in einer auf Konkurrenz basierenden Gesellschaft. Vertont ist alles im typischen Lesch-Stil, hier ein bisschen Punk, da ein bisschen Chanson. Mit Akustikgitarre, Mundharmonika und Ukulele entsteht eine Atmosphäre, die so klingt, als hätte eine gereifte „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“- Haltung trotzig die Türen geöffnet und das menschliche Dasein mit all seiner Traurigkeit hereingelassen.
Nun hat Lesch mit „Triggerwarnung“ (ebenfalls „Kick The Flame“), nachgelegt. Ein intensives Album über Gewalterfahrungen, über Demütigungen und sexualisierte Gewalt, über eine zwischen Elend und Wohlstand zerrissene Welt, über Drag Queens und Sexarbeiterinnen. Eine schonungslose Platte, alles ohne milde Pointen, aber mit Gästen wie Wencke Wollny, Antonia Hausmann (beide „Karl die Große“) oder den preisgekrönten Pianisten Johannes Bigge.
Ruft man Lesch an, erzählt sie über die gesellschaftliche Spaltung, da gab es vor kurzem ein Festival im ländlichen Mecklenburg- Vorpommern, der Veranstalter wollte einige 15-Jährige in Springerstiefel wegschicken: „Wenn sie nicht anfangen, rumzupöbeln, können sie bleiben, habe ich gesagt. Vielleicht hören sie zu.“
Das Mögliche denken, die vielen „Vielleichts“ zulassen. Ist das Naivität oder die einzige Chance? Im Song „Da draußen“, dessen treibendes Gitarrenzupfen an Johnny Cash erinnert, heißt es: „Und ich weiß, dass wir es versaut haben / Und dass ein Wunder jetzt auch nichts mehr bringt / Und ich weiß, dass man die Angst vergisst / Die Angst vergisst, wenn man singt.“ Die Angst und das Singen, es waren gesellige Runden, die Lesch ermutigten, hauptberufliche Musikerin zu werden. Die „Komm, sing doch noch eins!“-Bitten gab es in Ost und West.
Rückblicke. Als die Mauer fiel, war Lesch vier Jahre, als Fünfjährige ging es nach Baden-Württemberg. Trifft ein lebenshungriges, freches Gemüt auf einen christlich geprägten schwäbischen Wohlstandsspeck, entstehen solche Erinnerungen: „In Süddeutschland geht es prüder zu, meine Mama spürte als Alleinerziehende Vorbehalte, einmal wollte man mich aus dem Schullandheim schicken, weil ich ohne Bikini in den See gesprungen bin.“
Seit 2015 lebt Lesch wieder in Ostdeutschland. Warum die Wahl auf Leipzig fiel? Lesch wollte ihren Vater kennenlernen, den Musiker Ralf Kruse „kannte ich bislang nur aus dem Fernsehen“. Den hauptsächlichen Grund schiebt sie nach: „In Tübingen konnte ich mir weder als Musikerin noch als gelernte Erzieherin eine Wohnung für mich und meinen Sohn leisten. Das war damals in Leipzig noch anders.“
Und dann gibt es noch diese Geschichte mit dem Song „Testament“, der mittlerweile über 9 Millionen YouTube-Klicks hat, beim Protestsongcontest 2016 in Wien den ersten Platz belegte und zusammen mit dem Album „Von Musen und Matrosen“ (2015) die ehemalige „Küchenmusik“ in die größeren Spielstätten trug.
Das Lied richtet sich gegen jene, die im ewigen Wachstum des Kapitalismus, im täglichen Konkurrenzdenken eine Alternativlosigkeit sehen, die man den Kleinsten von Kindesbeinen an einbimsen muss. Dank Zeilen wie „Und jeder, der sich nicht anpasst / Wird zum Problemkind erklärt“ landete das Video einer zierlichen Frau mit langen, blonden Dreadlocks und Lippen-Piercing auch auf rechtsextremen Kanälen. Trotz sofortiger klarer Botschaften wundert sich Lesch noch heute, wenn Einzelne ihre Konzerte bei dem Song „Der Kapitän“ verlassen. Im Lied lehnt jemand eine Auszeichnung für die Rettung von Geflüchteten ab – zu selbstverständlich menschlich kommt sie ihm vor.
Klare Botschaften. Auf „Triggerwarnung“ wird Lesch so persönlich wie nie zuvor. Sie erzählt: „Misogynie, Frauenhass und Queerfeindlichkeit findet sich weltweit. In jedem Land, jeder Religionsgemeinschaft, jeder Community, jedem sozialen Milieu, in fast jeder Familie quer durch alle Gesellschaftsschichten, auch wenn das erst einmal unglaublich klingt.
Denn nicht nur durch offene Gewaltangriffe, auch durch unbewusste Worte oder Verhalten können Menschen sich verletzt, ausgegrenzt und bedroht fühlen. Auch das ist am Ende Gewalt, und die bleibt oft im Dunkeln.“ Lesch wäre nicht Lesch, wenn sie diese Fakten nicht mit einem Plädoyer für einen liebesvollen Zusammenhalt künstlerisch verarbeiten würde. Auf „Triggerwarnung“ ist es besonders gelungen.
Text: Mathias Schulze