Fortuna Ehrenfeld, 19. Oktober, Kupfersaal Leipzig, 20 Uhr
Das Kölner Musikprojekt Fortuna Ehrenfeld stellt sich mit dem neuen Album „Universum“ im Leipziger Kupfersaal vor. FRIZZ-Redakteur Mathias Schulze hat reingehört
Einmal zurückspulen bitte! Wir schreiben das Jahr 2023: Eines der kreativsten Musikprojekte der deutschsprachigen Indie-Szene – die Momente, in denen man von der kreativsten Gruppe schlechthin reden kann, flüstern immer häufiger ins begleitende Ohr – veröffentlicht das Album „Glitzerschwein“. Berührende Tresenballaden, eine Rock’n’Roll-Haltung und fette Beats. Quatsch und Melancholie, Ekstase und Weltliteratur, Dadaismus und Ohrwürmer. Alles liegt bei der Band um Mastermind Martin Bechler eng beieinander, alles ist durchgeknallt und traumschön zusammengefügt. Punk trifft Klaviermusik, Dance trifft Seemannsromantik, die Beatles auf Science-Fiction. Eröffnet wird „Glitzerschwein“ aber mit dem Song „An der Ecke bellt ein Hund“. Wer schon mal von einem geliebten Menschen verlassen wurde, die Affentour einer Aufarbeitung kennt und wer dieses Lied noch nie gehört hat, sollte sich anschnallen. Texter und Sänger Bechler zoomt ran, in knapp drei Minuten wird der Moment der gefallenen Würfel, das Ende aller Unsicherheiten festgehalten. Es ist vorbei! Minuten, in denen es keine Sprache gibt, in denen das Nervensystem fundamental erschüttert wird, in denen sich der Magen verkrampft, nur noch der metallische Geschmack im Mund so etwas wie Realitätssinn verleiht – der Rest ist Autopilot, der Rest ist surreal. Bring das mal in einen Song! Bechler hat es mit „An der Ecke bellt ein Hund“ geschafft: Tieftraurige Klaviertöne. Es ist, als hätten sich alle Lebewesen dieses Planeten zum Sterben niedergelegt. Und dann der Text! Die Wut im Herzen kann nicht raus, noch ist sie tief vergraben. Also fällt nur Totes aus dem Mund, stolpern Schritte aus den Beinen, schmeckt die Stunde wie der Tod. Derweil die Alltäglichkeit einfach weitergehen: „Die Blätter wenden sich zur Sonne / Mein Auto steht im Parkverbot.“ Ein Knockout auf so vielen Ebenen. Das Bewusstsein wird sehr lange brauchen, um sich wieder einzuordnen. Man kann diese Momente nicht erklären. Es braucht die Kunst! Der Song ist ein Meisterwerk. Ein durchschlagender Beweis, dass selbst die intimsten Erlebnisse nur zwischenmenschliche Kollektiverfahrungen sind. „Berührende Balladen, Rock’n’Roll und fette Beats.“ Heute schreiben das Jahr 2024, Fortuna Ehrenfeld ist aktuell mit Leonie Geisler, Jannis Bentler und eben Martin Bechler besetzt. Zur Tour wird Jenny Thiele zurückkehren. Und am 11. Oktober wird schon wieder etwas Außergewöhnliches rausgeballert! Das neue Album „Universum“, wieder erschienen bei Bechlers eigener Tonproduktionsfirma „tonproduktion records“, enthält 31 Songs. Wie gewohnt flutscht die Poesie, verdrahten sich Zeilen wie „Dein Lieblingssternbild Clickbait-Ficker dreht sich um den großen Magen“ mit unseren erstaunten Hirnen. Wie gewohnt verquirlen sich Balladen à la Tom Waits und allerlei Elektrogeballer mit Krautrock, Funk und Hinterhof-Polka. Aber die Hymne ist noch nicht fertiggesungen! Konzentrieren wir uns auf einen Song des neuen Albums, denn ein Jahr nach „An der Ecke bellt ein Hund“ findet sich auf „Universum“ - mitten auf diesen drei Langspielplatten, mitten auf diesen zwei CDs - das Lied „Wie die ausgespuckten Funken im Kamin“. Sprachen wir vorhin von einem Meisterwerk, fehlt uns jetzt die Sprache. Lassen wir Bechler in der wunderbar gelösten, bilanzierenden Grundstimmung des Stückes, das als Nachfolge-Song des besagten Meisterwerkes gehört werden kann, mit rauer, vom Leben heiser geriebenen Stimme sprechen: „Es ist ein schreckliches Verbrechen so zu lieben / Ein noch viel größerer Verrat, nur so zu tun / Ich bin mit meinen Konsequenzen so verblieben: Auszuruhen / Und dann geh zu deim verlausten Therapeuten / Gute Reise, ich geb’ dir für heute frei / Wenn die Glocken für die Durchgeschossenen läuten / Alle Angst und alle Wut ist jetzt vorbei.“ Im Song wird die Perspektive des Anderen – eigentlich aller Wundgeriebenen – übernommen, alles dreht sich um die große Einordnung im Fluss des Lebens. Der Schmerz ist noch zu spüren, er spuckt noch auf den seelischen Wellness-Markt, aber er versteht es, er ringt um Versöhnung – mit sich selbst, mit dem Anderen, mit dem Schicksal. Ein Jahr nachdem der Hund an der Ecke bellte, funktioniert der Song als Selbstbeschwörung, die immer wirkungsmächtiger wird, die immer mehr Heilung heranschafft, die immer sicherer in einer neuen und stabilen Realität aufwacht. Mit großem melodischem Schwung, der sich auch vor Schlagerelementen nicht scheut, wird die ganze Seele gepackt – ohne dabei das Zerschossene zu beschönigten: „Und dann fang’ wir wieder albern an zu tanzen / Wie die ausgespuckten Funken im Kamin / Alle Eitelkeiten, alle Pomeranzen / Geh’n dahin, sie geh’n einfach nur dahin“. Erlösung! Was für ein Song! Und - der aufmerksame Leser hat es gemerkt - es ist nur eins von einunddreißig Liedern, die auf der neuen Platte zu hören sind. Bechler, der in einem Interview mit diesem Magazin mal den Song „Hells Bells“ von AC/DC, Wencke Myhres „Er hat ein knallrotes Gummiboot“ und das Requiem von Mozart als den Soundtrack seines Lebens angegeben hat, konnte sich ehemals auch noch gut an den ersten Auftritt in Leipzig 2017 erinnern: „Es war eh schon schlecht besucht. Danach gab es einen Frontalverriss in der heimischen Presse, sinngemäß wurde uns künstlerischer Scheiß mit Wessi-Attitüde vorgeworfen.“ Bechler, der ostdeutsche Wurzeln hat, dessen Großeltern aus Chemnitz stammen, sollte heute mit genau dem Gegenteil rechnen. Da war er wieder – der Moment, in dem Fortuna Ehrenfeld als die momentan kreativste deutschsprachige Gruppe eingestuft wird. Hingehen!
Text: Mathias Schulze