Günter „Baby“ Sommer & Antonio Lucaciu, 6. Oktober, Vierseitenhof in Lochwitz, Weidengrund 8 in Lochwitz, 17 Uhr, alle Veranstaltungen unter www.lochwitz.de
Matthias Augustin ist so etwas wie ein Kultur- und Musikbotschafter. Er betreibt seiz etlichen Jahren im sachsen-anhaltischen Lochwitz im Mansfelder Land eine beeindruckende kulturelle Begegnungsstätte, die mittlerweile auch regelmäßig Publikum aus einem großen Umkreis anzieht. Ein Porträt
„Ich habe mich damals beim Paddeln in Mecklenburg am lebendigsten gefühlt. Wenn du dich im Urlaub am wohlsten fühlst, läuft dein Leben verkehrt.“ Als Matthias Augustin 1996 einen ruinenähnlichen Vierseitenhof in Lochwitz im Mansfelder Land entdeckte, war seine Entfremdung vom Stadtleben und von den Versuchen, nach der Wende Fuß zu fassen, schon weit voran geschritten.Mehr noch: Augustin, Jahrgang 1961, war aufgerieben von den Kämpfen der 80er Jahre, gelegentlich blättert er heute in seinen Stasi-Akten. Zwei dicke Ordner sind es, fast 1.000 Seiten. Ein historischer Irrwitz, Zufälle und persönliches Glück. „Die Umweltzerstörungen vor Augen und im Zuge der Friedensbewegung haben wir damals in Halle-Neustadt in der offenen Jugendarbeit der evangelischen Kirche mit dem Sozialarbeiter Lothar Rochau unsere Attacken auf den DDR-Staat geführt“, erzählt der gelernte Anlagenmonteur Augustin. Die gesamte Gruppe wurde durch ausgeklügelte Stasi-Operationen zersetzt, manche kamen in den Knast, manche gingen unfreiwillig freiwillig in den Westen. Und manche – wie Augustin – blieben überraschenderweise verschont. Erklärungen, gefunden in den eigenen Stasi-Akten, Augustin erinnert sich: „Menschlich hat es bei mir nie gepasst mit den Leuten, die sich nachträglich als Spitzel herausstellten. Aber komischerweise haben die IM´s, die bei mir staatsfeindliche Hetze feststellen sollten, über mich wohlwollend, teils freundlich berichtet.“ So blieb zumindest Augustin trotz zwei „Operativer Vorgänge“ vom Strafvollzug verschont.
„Der Hof war komplett zugewachsen, eine ziemliche Leiche, aber eine sehr schöne.“
Die Wunden hingegen, die das Trennen von Freundschaften rissen, schmecken noch heute bitter. Und zeigt er seinen vier Kindern Fotos von damals, ist das Entsetzen groß. Ja, Erich Honecker musste auch mal einen Halle-Besuch absagen: Zu viel Smog! Und nein, diese dreckige Stadt ist nicht Halle nach dem Krieg, sondern Halle in den 80er Jahren! Nach der Wende hat Augustin mit Freunden, mit denen er gemeinsam vor und unmittelbar nach der Wendezeit die kleine Untergrundzeitung „Das andere Blatt“ herausgab, eine Druckerei gegründet. Und dann kam Lochwitz. „Der Hof wurde von der Treuhand verwaltet, er sollte abgerissen werden. Wir haben ihn 1997 für 15.000 Mark gekauft – und dann fast noch mal genauso viel Geld für die Neuvermessung des Grundstücks bezahlt“, erzählt Augustin, der noch bis 2021 regelmäßig nach Halle pendelte, um seinem damaligen Job im Objekt 5 nachzugehen. Seit Pandemie-Beginn lebt und arbeitet er nur noch in Lochwitz.Gab es nicht auch Bedenken? Augustin rückblickend: „Nur die älteren Kinder waren damals nicht amüsiert. Heute wohnen sie freiwillig hier in der Nähe. Und aus DDR-Zeiten kannte ich mich mit Ruinen aus. Der Hof war komplett zugewachsen, eine ziemliche Leiche, aber eine sehr schöne.“ Fortan hatte er genug zu tun, so rückte die Beschäftigung mit der Vergangenheit in den Hintergrund, seit nahezu 30 Jahren wird fleißig am Hof gewerkelt. Die verfallenden Gebäude des Umlandes spendeten immer wieder Baumaterialien. Augustin erzählt: „Anfangs gab es Kinderfeste, kleinere Konzerte, Grillfeste, dann kamen die Zirkusleute. Wir haben schöne Dinge gemacht, die uns selbst gut taten. Als der Zuspruch kam, entwickelten sich die Dinge - bis ich gemerkt habe, dass ich hier etwas aufbauen kann. Seit 2003 bin ich selbstständig, seitdem lebe ich in einer Art Dauerurlaub.“ Heute werden in Lochwitz nicht nur feine Konzerte gespielt, eine Freiluftbühne mit Samtvorhang kann bis zu 200 Gäste empfangen, in den Veranstaltungsraum passen gut 60 Menschen. Die Besucher kommen, wie Augustin erklärt, „zur Hälfte aus dem 100-Kilometer-Umland und zur anderen Hälfte aus der näheren Umgebung.“ Eine Begegnungsstätte für alle. Wird Augustin grundsätzlich, spricht auch seine Biografie: „Bei mir sitzen die Leute quer durch die Parteienlandschaft nebeneinander. Wir müssen miteinander reden, nur ein offenes Gespräch macht eine Gesellschaft demokratiefähig. Ich bin ein Kind der DDR, habe erlebt, was passiert, wenn man auf Leute herabschaut, wenn man sich moralisch erhöht.“ In Lochwitz gibt es heute Workshops, Yoga-Gruppen, Übernachtungsmöglichkeiten oder auch ein Zirkus-Feriencamp für Kinder. Der Zauber einer ländlichen Idylle, den vermehrt auch Künstler für ein Arbeiten nutzen. Augustin, der auf eine Förderung verzichtet, weil ihn die praxisfernen Fragen nerven, weil er keine Lust auf eine kleinteilige Bürokratie hat, berichtet: „Wir hatten mal die Jazzsängerin Randi Tytingvag zu Gast. Mitten im Konzerte sagte sie, dass es hier gerade wie im Märchen ist.“ Ein Märchen, in dem viel Arbeit steckt. Ein Märchen, in dem die Stasi-Akten keinen großen Platz mehr haben.
Text: Mathias Schulze