„Katzensprung“, Uwe Preuss. S. Fischer-Verlag
Noch spüren wir die Pandemie, noch brauchen wir besonders viel Lesestoff. In diesem Sinne empfiehlt FRIZZ-Redakteur Mathias Schulze diesen Monat „Katzensprung“ von Schauspieler Uwe Preuss
Kurze Sätze, eine lakonische Sprache, Handfestes und Faktisches statt Innenleben. Es ist ein Wunder, dass das knapp 170 Seiten starke Buch „Katzensprung“ von Uwe Preuss, Jahrgang 1961, dennoch zu Tränen rühren kann.
Was ist das für ein Buch? Eine Autobiographie? Ein fiktiver Roman? Eine Kurzgeschichtensammlung über drei Generationen, über die DDR und die Stasi, über São Paulo, über das Nachwendedeutschland und die Welt mitsamt seiner knorrigen Typen, die gut und aufrecht in ihren Schuhen stehen?
Ja, alles zusammen stimmt. Vor allem ist das Buch ein sprachliches Experiment. Wie viel epische Tiefe, wie viele Emotionen passen in konsequent knapp gehaltene Satzfragmente? Es gibt viele literarische Arten, sich an die geliebte Omi zu erinnern. In „Katzensprung“ geht es so: „Hat sie jemals Uwe gesagt? Vorher hieß ich einfach Na-mein-Junge.“
Und das kalte Schweigen inmitten der brutalen Nachkriegsnarben? Was sagt die Omi dazu? „Lange her, sagt sie. Thema erledigt.“ Preuss ist in der DDR und in Brasilien aufgewachsen, diverse Anläufe bei der Berufswahl führten zu einer langen Stasi-Akte, im Buch heißt es: „Und ich sage, Hauptsache kein Büro.“
1985 gelingt ihm endlich die Ausreise nach West-Berlin, endlich das Schauspielstudium. Das Prinzip seines Buches erklärt er auf dem Klappendeckel: „Alles Überflüssige raus. Keiner will alles erklärt bekommen. Auch Sinnlichkeit nicht.“ So geht es in kurzen Episoden kreuz und quer durch die Zeiten, Erinnerungsfetzen, die scheinbar beliebig kommen und gehen.
Mal erlebt man westdeutsche Theaterentlassungen, dann ist man bei vergangenen Fluchtversuchen dabei: „Also Weihnachten 84 in Prag in die deutsche Botschaft. Ausreise. Aber zum Karneval und für die Liebe wieder rein. Und schnell wieder raus. Später Akteneinsicht. Glück gehabt.“
Mittendrin gibt es skurrile Geschichten, es wird gesoffen, geraucht, geliebt und gestorben. Auffallend sind die vielen Gerüche: Haarspray, Rasierzeug, Mottenkugeln oder Waschpulver lassen die Erinnerungen an die DDR plastisch werden. Der Ton macht hier die Musik, die lapidare Sprache entführt in eine schnörkellose Haltung zum Leben.
Man kann das Geschehen, sich selbst und andere Menschen hart und präzise kommentieren. Und dennoch kann in solch einem dreckig und traurig anmutenden Ton ganz viel Liebe stecken. Preuss macht es gekonnt vor.
Text: Mathias Schulze