Origins – Ursprung des Lebens, bis Juni 2025, Kunstkraftwerk, www.kunstkraftwerk-leipzig.com
Vom Urknall bis zur Zellteilung, von explodierenden Sternen bis zur Gottesvorstellung: Die neue immersive Show „Origins – Ursprung des Lebens“ im Leipziger Kunstkraftwerk kann man am besten genießen, wenn man sich vom Staunen mitreißen lässt
Die Magie des Lebens neuartig entdecken. Der Anspruch, den die virtuelle Schau „Origins – Ursprung des Lebens“ im Kunstkraftwerk Leipzig, zu Beginn formuliert, ist enorm und wohltuend. Natürlich spielt er auch mit dem Verweis auf die Realität. Kann der alltägliche Blick auf Kriege und Kriegsszenarien durch eine künstlerische Sichtweise auf die Anfänge unseres Planetens erfrischt werden?
Um zur Haupthalle, zur immersiven Show, zu gelangen, durchläuft man einen Parcours mit elf Ausstellungsbereichen. Fotowände, Erklärtafeln, Videogalerien, Licht-und Klanginstallation oder VR-Brillen – vom Urknall über Schwarze Löcher und explodierende Sterne bis hin zur Kooperation von Zellen und den ersten Lebewesen reicht das Spektrum. Vierzehn Künstler aus neun Ländern haben sich unter der künstlerischen Leitung von Markos Kay von der Wissenschaft und von paläontologischen Forschungen inspirieren lassen. Nun wird der gewöhnliche Besucher das ausgestellte Wissen, das in visuelle, akustische und emotionale Erfahrungen übersetzt wird, nicht zur Gänze verstehen, geschweige denn überprüfen können. Entscheidend ist das nicht.
Vielmehr lebt die Schau von dem immer wiederkehrenden Eindruck des Staunens: Wie um Himmels willen ist denn ein Universum entstanden? Wie kann es sein, dass so ein komplexes Wesen wie der Mensch auf dieser unserer Erde sein Unwesen treibt? Allein die Unermesslichkeit dieser Vorstellung führt an die Grenzen unseres Verstandes und auch heute noch zu der Idee einer höheren, ordnenden und erschaffenden Macht. Die träumerischen und surrealen Bilderwelten, die kräftigen Farben und sphärischen Klänge, die allerorts auf den faszinierten Geist einströmen, rahmen beständig die verblüfften Gedanken. Die Schau bietet eine genussvolle Reise ins Unverständliche. Schau doch mal bitte 13,8 Milliarden Jahren zurück! Gab es Raum und Zeit schon immer? Auf welch grandiosem Wunderwerk namens Erde leben wir eigentlich?
Gibt man sich diesen Inspirationen hin, lässt man sich überwältigen von Sternen, Ozeanen, Lipiden, Quantenfluktuationen oder Molekülen, erlebt man tatsächlich eine porenöffnende Erfahrung, kann man von der Wucht, mit der sich der Verstand unweigerlich einen Verursacher, einen Gott, imaginiert, überrascht sein. Das kann doch sonst gar nicht anders möglich gewesen sein!
Noch etwas ist auffällig, noch etwas erscheint spannend und gibt Aufschluss über das menschliche Wesen: Sowohl die verschriftlichten Erläuterungen als auch die visuellen Eindrücke arbeiten mit positiven menschlichen Kategorien. Da sieht man die ersten Lebewesen in einem paradiesisch anmutenden Umfeld, da spricht man von der „Harmonie, die der Schöpfung des Universums zugrunde liegen“ soll, von dem „Genie der Natur“, von der „Eleganz, die in einfachsten Organismen steckt“ oder von der „Unschuld und Schönheit vielfältiger Lebensräume“.
Der künstlerische Blick ästhetisiert die mächtigen Urkräfte, legt menschliche Sehnsüchte und Ordnungsvorstellungen in ein Treiben, das zu denken doch so schwer fällt. Das ist nicht als Vorwurf formuliert, sondern nur allzu menschlich. Wie soll man sich die Anfänge unseres Universums auch anders vorstellen? Begriffe wie „Wunder“ oder „Zauber“ erscheinen alternativlos. So erfrischt die Schau unseren Blick.
Natürlich arbeitet sie auch indirekt mit den Gegenwartserfahrungen der Besucher. Wie kann dieser scheinbar durch ein Wunder entstandene Mensch nur das Antlitz dieser Welt mit Kriegen zerkratzen und die Unschuld und Schönheit so brutal zerstören? Schon in der Haupthalle, also zur 27-minütigen Show angekommen, lebt die Faszination der Ausstellung davon, dass man seine Begeisterung für die „geheimnisvolle Kraft und Schönheit des Universums“ an der krisenhaften Gegenwartserfahrung reiben kann. Das intensiviert Empfindungen, lässt noch schmerzhafter auf die Wirklichkeit schauen.
Und alles, was man auf dem Parcours erfahren konnte, bündelt sich am Ende in der Hauptshow: Auf dem Boden, an den Wänden und an der Decke flitzen Teilchen, Zellen, Licht, Sterne und erste plüschige Lebewesen hin und her. Ein Sitzen und Staunen mitten im Urknall. Dem Kunstkraftwerk gelingt eine Schau, deren Faszination nur eins voraussetzt: Man muss sich dem Nicht-Verstehen hingeben können. Wer sich zu viele Fragen stellt, kann es nicht erleben .
Text: Mathias Schulze