„Barbara Klemm: Helldunkel. Fotografien aus Deutschland“, bis 23. März, Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, www.gfzk.de
Die Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig zeigt ikonische Fotografien aus Ost und West. Prominenz und Alltag. Ausgestellt werden Bilder der Fotografin Barbara Klemm von den 1970er Jahren bis 2008. Eine eindrückliche Zeitreise
Eines vorweg: Die faszinierende Ausstellung „Barbara Klemm: Helldunkel. Fotografien aus Deutschland“, die in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig zu sehen ist, entfaltet eine starke atmosphärische Wirkung. Was kann man nicht alles sehen, denken und empfinden! Schauen wir also hinein: Da sitzt Heiner Müller 1981 mit Lederhausschuhen auf der heimischen Couch in Ost-Berlin – lange Zigarre, breitbeiniger Blick, ein Buch von Patricia Highsmith auf dem Schränkchen. Daneben: Der Bruderkuss zwischen Honecker und Leonid Breschnew, OstBerlin 1979. Die Nahaufnahme ist ikonisch. Aber die Realität, die die FAZ-Fotografin Barbara Klemm, Jahrgang 1939 und geboren in Münster, einfing, schaute nicht minder absurd aus: Drumherum nur Männer, alle im Anzug, neugierig, fragend, pflichtbewusst lächelnd. Und dort: Der Kalte Krieg und Willy Brandt und wieder Breschnew, 1973 in Bonn. Echte historische Augenblicke, alle eingerahmt in Schwarz-Weiß-Fotos, die kommentarlos in großen hellen Räumen hängen. Nur einen Schritt weiter – langsam kann man in der Geschichte vor und zurück laufen - sitzt Rudi Dutschke 1975 in Offenbach. Was wäre die BRD ohne die 68er-Bewegung geworden, wie weit hätten die Schatten der NSDiktatur noch gegriffen, wenn es den Versuch, den „Muff unter den Talaren“ zu lüften, nicht gegeben hätte? Und was ist das für ein Foto aus der Psychiatrie 1973? Ein Mann am Tropf in einem schäbigen Metall-Bett, abgesperrt in Dreck und Schimmel. Dreht man den Kopf, sieht man Trapez-Künstlerinnen, die 1974 vor maroden Häusern in Rostock ihre Künste aufführten, sieht man ostdeutsche Frauen, die in ihrer Einheitskleidung 1970 in Leipzig das edle Kleid einer Schaufensterpuppe bestaunen. Alltag, die einfachen Leute. Wenige Schritte weiter: Porträts von Ingeborg Bachmann, Alfred Hitchcock, Rainer Werner Fassbinder oder Andy Warhol. Einmal liegt ein Obdachloser 1974 in Frankfurt am Main vor einem Goethe-Plakat, das den Besuch der Oper empfiehlt. Das kleine Schicksal und die welthistorischen Läufe, die uns noch heute prägen. Ludwig Erhard und Rainer Barzel 1971 auf einem CDU-Parteitag, Helmut Schmidt, Herbert Wehner und Willy Brandt 1972 auf einem SPD-Parteitag – es wird geraucht, der Qualm umhüllt die Frage, was heute konservativ und sozialdemokratisch ist. Neben Pfeifen und Zigarren, neben den weit hochgezogenen Hosen steht eine Coca-ColaFlasche auf dem SPD-Parteitag. „Was haben die deutschdeutschen Verhältnisse mit mir zu tun, welchen Prägungen muss ich mich stellen, wess’ Zeiten Kind bin ich?“ Kurioses und ernste Mienen. Es ist gut, dass die Schau auf Tafeln, die die gesellschaftlichen Hintergründe liefern, verzichtet. Namen und Jahreszahlen, das reicht. So ist man mit seinem Vorwissen allein, so kann man sich selbst erforschen: Was haben die deutschdeutschen Verhältnisse mit mir zu tun, welchen Prägungen muss ich mich stellen, wess’ Zeiten Kind bin ich? Und warum ähneln sich die Eindrücke, die man von manchen Fotos empfängt? Da die nackten Oberkörper von westdeutschen Jugendlichen bei einer Anti-Atomkraft-Demonstration, im Hintergrund die Atommeiler. Dort die ostdeutsche Jugend, die 1990 mit ihren Motorrädern nahe Leipzig ein ehemaliges Braunkohle-Gebiet bevölkerte. Die Wanderausstellung, die die 125 Fotos weltweit präsentiert und vom „ifa – Institut für Auslandsbeziehungen“ konzipiert wurde, zeigt auch das Schicksalsjahr 1989. Wieder besticht das Nebeneinander: Da Bärbel Bohley, Gregor Gysi und Heiner Müller auf der Kundgebung am 4. November 1989 in Ost-Berlin – gespannte, skeptische, hoffnungsvolle und traurige Gesichter. Und dann dort diese Freude, diese innigen und lächelnden Blicke am 10. November in Berlin zwischen einer jungen Frau und einem uniformierten Mann. Sie sitzt auf der Mauer, er steht unten. Hätte er sie unter anderen Umständen erschießen müssen? Jetzt sieht es so aus, als würde sie sich bedingungslos in seine Arme fallen lassen können. Ob nun die türkische Großfamilie aus Frankfurt am Main oder die ostdeutschen Arbeitslosen nach der Wende eingefangen werden, ob nun die fröhlich grinsenden Wandergesellen neben den steifen Männern einer Privatbank zu sehen sind - immer ist da dieser beschreibende, nicht wertende Zug in den Fotos. Der sehenswerten Schau gelingt es, den Blick auf die deutsch-deutschen Verhältnisse zu poetisieren. Man fühlt die Vergänglichkeit, auch die der eigenen Stunde. Und man spürt, dass die Gegenwart nur unter einem historischen Blickwinkel verstanden werden kann. Anschauen!
Text: Mathias Schulze