„New York 9/11 – Krieg in Zeiten von Frieden“, täglich von 10 bis 17 Uhr, Panometer Leipzig in der Richard-Lehmann-Straße 114, Tickets: www.panometer.de
Yadegar Asisi zeigt im Panometer Leipzig sein neues Panorama-Bild „New York 9/11 – Krieg in Zeiten von Frieden“. Das Ganze ist ein riesiges Antikriegs-Projekt geworden Flackernde Lichter, ein bedrohliches Brummen, die Dunkelheit wird von schrillen Leuchtschriften der Gegenwart zerschnitten. Hass und Dummheit, ein brutaler Empfang: „Kopftuchmädchen und Taugenichtse“ schreit es. Kaum hat man die Ausstellung „New York 9/11 – Krieg in Zeiten von Frieden“ von Yadegar Asisi betreten, befindet man sich in einem Zeittunnel. Kann man den Pöbeleien entkommen, wenn man schnurstracks geradeaus, wenn man eilig von der Gegenwart bis ins Jahr 2001 zurückläuft?
Zumindest die gezeichneten Striche auf dem Boden strahlen Ruhe aus. Eine trügerische Sicherheit, die Striche stehen für die geschätzten 900.000 Opfer, die der „Krieg gegen den Terror“ zu verantworten hat, die Millionen Kriegsgeschädigten noch nicht mitgezählt.
Die Schritte in die Vergangenheit, bis zum 11. September 2001 in New York, gehen über Leichen. An den Wänden sind Gastbeiträ- ge notiert. Der Politikwissenschaftler Michael Lüders nennt, noch vor Putins Angriffskrieg, „zwei der größten Kriegstreiber unserer Zeit“ – er meint den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush und den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair. Angeklagt sind sie bis heute nicht.
Und schon steht man vor zwei 22 Meter hohen „Gold“-Türmen, die die Kosten des „Krieges gegen den Terror“ visualisieren: Es sind nahezu sechs Billionen Dollar! So unvorstellbar diese Zahlen sind, so hilflos steht man vor einer riesigen Grenzzaun-Installation: Stacheldraht, Mauern und Pushbacks. So sollen die Flüchtenden nach den Kriegen im Mittleren Osten von Europa ferngehalten werden. Menschenverachtende Parolen wie „Asyltourismus“ blinken von den Wänden.
Kalt ist es im Leipziger Panometer, eine Installation zeigt ein westliches Wohnzimmer. Auf dem Tisch die Pommes, im Fernsehen läuft Bushs Rede vor dem US-Kongress vom 20. September 2001: „Entweder ihr steht an unserer Seite oder an der Seite der Terroristen.“ Tosender Beifall im Kongress, der damalige Kanzler Gerhard Schröder sandte die „uneingeschränkte Solidarität“, der Krieg in Afghanistan begann 2001, der Irak-Krieg 2003. Während Bush noch von Freiheit und Demokratie spricht, zeigt eine riesige Videoleinwand die zerbombten Städte und destabilisierten Landstriche im Mittleren Osten. Neuer Hass auf die westliche Welt, neue „Gotteskrieger“ waren geboren.
Elf Zeitzeugen berichten, darunter ein Häftling des amerikanischen Gefangenenlager „Guantanamo“: Hunderte Muslime wurden nach dem 11. September 2001 ohne Anklagen eingesperrt. Misshandlungen und Folter für den „Kampf gegen den Terror.“
Auch Medienkritik, wonach differenzierte Darstellungen weniger rezipiert werden, als pauschale Schwarz-Weiß-Zeichnungen oder unterhaltender Blödsinn flankieren den Zeittunnel. Die chronologische Ansammlung historischer Fakten ist nicht frei von beißendem Sarkasmus: Ja, Günther Beckstein hielt 2008 das Autofahren nach zwei Litern Bier für machbar. Ja, Dieter Bohlens Bestseller „Hinter den Kulissen“ erschien 2003.
Und ja, wer Asisis 32 Meter hohes 360°-Panorama sehen will, muss zuerst durch den Zeittunnel. Der Sinn dieser Reise zeigt sich am Ende. Ist man beim Panorama-Bild angekommen, steht man plötzlich am 11. September 2001 mitten in den Straßen New Yorks. Die Twin Towers des World Trade Centers, Symbole der westlich-kapitalistischen Welt, werden von den ersten Sonnenstrahlen des Tages geküsst. Da ein Hupen und Jazz-Musik, dort eine hektische Betriebsamkeit und die Erhabenheit des Friedhofes an der Paulus-Kapelle in Manhattan.
Die Sensation des scheinbar Banalen. Es ist 8.41 Uhr, fünf Minuten vor den Anschlägen. Die Bäume blühen, auf den Parkbänken schlafen Obdachlose, Sirenen und multikultureller Verkehr. Menschen eilen in ihre Büros, Massen strömen aus den U-Bahn-Ausgängen. Der Himmel ist klar, ein sonniger Herbsttag soll es werden.
Dass man den Besucherturm nicht nutzen kann, ist ein Gewinn. So bleibt man als Besucher in der Rolle des Mitwirkenden, man ist ein Teil der Straßen. Die Soundeffekte von Eric Babak sind so gut eingestellt, dass man an einigen Stellen die Telefonate der Passanten mithören kann. Und dann gibt es einen Schlag, plötzlich wird es dunkel. Es ist 8.46 Uhr, kurz nach 9 Uhr werden die Anschlagsbilder live in die Welt gesendet, gut 3.000 Menschen verlieren ihr Leben. Alles kann so schnell vorbei sein.
Nur als Panometer-Besucher bekommt man die brennenden Türme nicht zu sehen, man hört nur diesen Schlag. Was ist das? Fühlt man schon Panik? Was wird jetzt passieren? Es ist, als wäre für den Besucher die Geschichte noch offen. Und, würde man sie ändern wollen? Ein großartiges Kunsterlebnis.
Auf dem Heimweg kommen die Fragen: Wie viel weiß man von den Verhältnissen im Nahen und Mittleren Osten? Warum sind die damaligen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der USA und Großbritanniens im Zeittunnel nicht signifikant hervorgehoben?
Text: Mathias Schulze